Kommentar«
Wenn Dörte Schnitzer zur Selbstjustiz greift, um jene zu strafen, die ihrer Meinung nach schuld daran sind, dass unsere Umwelt immer lebensfeindlicher wird, lassen Reaktionen aus der Lokalpolitik nicht lange auf sich warten. Da wird sich „distanziert“, da wird „Befremden“ geäußert, verurteilt, allenfalls ein bisschen gerätselt. Dies alles jedoch mit oberflächlichen Floskeln, die den Verdacht nähren, es gehe dabei vorrangig nur darum, selbst besser dazustehen, und alles ist gut, wenn das Böse verbannt wird.
Gewalt ist keine Lösung, da sind sich alle einig. Gleichwohl haben auch Suffragetten in Großbritannien Anfang des vorigen Jahrhunderts Bomben gelegt. Ihr Ziel war das Frauenwahlrecht. Geduldig hatten sie es jahrelang zuvor mit friedlichen Mitteln gefordert. Jahrelang wurde es ihnen von den Herren Politiker vorenthalten, die glaubten, Politik sei allein für sie als Spielwiese reserviert. Diese Arroganz der Macht führte zur Radikalisierung der Stimmrechtsbewegung. Deren Gewaltakte richteten sich jedoch nie gegen Menschen. Auch Dörte Schnitzers aktuelles Tun verursachte nur Blechschaden – selbst wenn dieses Blech manchen als heilig erscheint.
Wichtig ist daher die Frage nach dem Warum. Es geht ihr um das Klima, um eine lebenswerte Umwelt für uns und unsere Nachkommen. Mit diesem Ziel können sich viele identifizieren. Und tatsächlich hat unser vorheriger OB ja bereits vollmundig verkündet, dass Schorndorf sogar schon bis 2035 „klimaneutral“ wird. Deshalb schaffte er eigens eine „Stabsstelle Klimaschutz“, die jährlich Personalkosten von einer Drittel Million Euro verursacht.
Freilich fragt sich so mancher, wofür dieses Geld eigentlich ausgegeben wird. Die Stabsstelle verfügt über keinerlei Handlungsbefugnis: Hat sie ein Vetorecht bei der Versiegelung von Böden? Nein. Kann sie die Verwendung von Beton als Baustoff verbieten? Nein. Hat sie eine Baumschutzverordnung, wie in anderen Städten, auf den Weg gebracht? Nein. Drängt sie auf nachhaltige Sanierung statt Abriss für Neubauten? Nein. Fördert sie Fassadenbegrünung, damit die Innenstadt sich im Sommer nicht zu sehr aufheizt? Nein.
Von dieser Stelle kommt nur heiße Luft; viele Worte, viel Papier, Vorträge, ein Kugelschreiber zum Verschenken und die Ermahnung an Privatleute, ihre Heizung zu erneuern. Diese Stelle ist ein zahnloser Tiger. Und das Schlimmste: Sie war vermutlich nie anders geplant. Wie so oft in der Politik: Man richtet eine Kommission ein, man erarbeitet Konzepte, man verkündet hehre Ziele – doch die Taten bleiben aus. Man gaukelt der Bürgerschaft nur vor, man sei tätig. Leider mit dem von ihr sauer verdienten Geld. Man stellt ihr Potemkin’sche Dörfer hin, und viele lassen sich davon täuschen. Bis der eine oder die andere hinter die Fassade schaut und in ein leeres, gähnendes Nichts blickt.
Noch gibt es genügend Menschen, die eine hohe Meinung von den Stadt-Oberen haben. Die glauben, dass diese zum Wohl der Bürgerschaft stets klug, besonnen, verantwortungsbewusst agieren. Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass dort oft mehr Schein als Sein existiert, und der schnelle Effekt dem langfristigen Erfolg vorgezogen wird.
Das bezieht sich nicht nur auf das Thema „Klima“. Auch in anderen Bereichen entfernt sich die Verwaltung immer mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe. Bürgermeister und Gemeinderat wollen vorrangig die Stadt „gestalten“. Gerade so, als stünde sie ihnen als Sandkasten zur Verfügung, um ihre kreative Ader auszuleben. Vergessen wird: Sie haben der Stadtbevölkerung und deren Anliegen zu dienen. Denn dafür zahlt diese brav ihre Steuern. Genau dafür.
Stattdessen wird beispielsweise das Lehrschwimmbecken in Haubersbronn geschlossen, um anschließend eine „Quartiersentwicklung“ durchzuführen. Deren Ziel ist, dass die BürgerInnen gern in ihrem Teilort leben, sich mit ihm identifizieren, Gemeinschaft erleben, sich treffen und austauschen. Man fasst sich an den Kopf, wie eine bestehende Einrichtung, die just all das erfüllt, abgeschafft werden konnte. Die Antwort ist einfach: Sie wurde geopfert, um der hochverschuldeten Stadt Kosten zu sparen. Für die neue Maßnahme hingegen gibt es Fördergelder – zumindest einen kleinen Zuschuss, und den auch nur ein Weilchen – und das Wort „Quartiersentwicklung“ klingt schick und nach viel Dynamik.
Gleiches gilt bei der Digitalisierung. Die Stadtverwaltung lässt sich von Landes- und Bundesregierung wie ein Bär am Nasenring durch die Manege führen mit diesem Anreiz „Fördergelder“. Mitunter noch kombiniert durch die Verlockung, sich damit quasi an die Spitze des Fortschritts zu setzen, was heute „zukunftsfähig“ heißt. Und so investiert sie in Bereiche, die für die meisten Bürger gar nicht vorrangig sind, während anderswo das Geld fehlt.
Und hier kommen wir wieder auf Dörte Schnitzer zurück. Ihr Tun muss ein Warnsignal für die Verwaltung sein. Wie bei den Suffragetten scheint auch bei ihr ein Punkt überschritten zu sein, und die Botschaft lautet: He, ich glaub nicht mehr, dass ihr dort im Rathaus unsere Probleme wirklich ernst nehmt – geschweige denn, gewillt und fähig seid, sie wirklich zu lösen.
Einen solchen Vertrauensverlust kennt man eher von Leuten der sogenannten „bildungsfernen Schichten“. Diese verlassen sich traditionell nicht darauf, dass ihre Belange – trotz gegenteiliger Versprechen – bei den Regierenden tatsächlich im Fokus stehen. Daher nimmt man dort die Problemlösung lieber selbst in die Hand.
Dörte Schnitzer zählt nicht zu dieser Gruppe: Sie hat eine gute Erziehung genossen, einen akademischen Abschluss als Diplom-Agrar-Ingenieurin, sie gehört vom Typ her eher zu den „stillen Wassern“. Vor allem: Sie engagiert sich bereits jahrelang sozial und politisch fürs Gemeinwohl. Das muss aufhorchen lassen. Denn sie ist vielleicht nur der Anfang einer Entwicklung, die den Rathaus-Oberen gar nicht gefallen dürfte.