Mit 20 zu 8 Stimmen (bei zwei Enthaltungen) beschloss der Gemeinderat am Donnerstag den Bau einer neuen Bücherei am Archivplatz zum „garantierten Maximalpreis“ von 8, 5 Millionen Euro. Rund 50 ZuschauerInnen, unter denen sich die gesamte Belegschaft der Bücherei befand, verfolgten die Debatte und beklatschten das Abstimmungsergebnis. Büchereileiterin Marianne Seidel hatte ihr Konzept für den Betrieb einer kulturellen Begegnungsstätte in den neuen Räumen in derart leuchtenden Farben dargestellt, dass der ganze Saal wie euphorisiert war.
„Schade, dass Sie heute nicht länger geredet haben“, bedauerte deshalb Ulrich Kost, der Grünen-Fraktionsvorsitzende, und seine ehemalige Fraktionskollegin Andrea Sieber erklärte, sie habe ‚sich vorgenommen, „voller Inbrunst ganz hoch zu strecken“ wenn sie die Hand zur Abstimmung heben soll. Auch Bernd Hornikel, der neue OB, hatte sich überzeugen lassen: „Das ist die Bücherei, die Schorndorf braucht“, denn die derzeitige sei „einer Stadt wie Schorndorf nicht würdig“. Im Wahlkampf habe er sich zu dem Thema noch „zurückgehalten“, doch „heute kann ich mit gutem Gewissen mein Ja dazu sagen“, meinte er, und appellierte an den Gemeinderat: „Stimmen Sie für diese Stadtbücherei“.
Fraktionsführer Tim Schopf verkündete, dass seine SPD geschlossen hinter dem Projekt stehe, beglückwünschte nicht nur Marianne Seidel für ihr „tolles Konzept“, sondern auch alle BürgerInnen, „dass wir hier so eine tolle Bibliothek bekommen“. Jene Gemeinderatsmitglieder hingegen, die dennoch die Befürchtung äußerten, dass sich der Kostenrahmen nicht einhalten lasse, mussten Zwischenrufe über sich ergehen lassen oder trafen auf mangelnde Aufmerksamkeit ihrer RatskollegInnen. CDU-Rat Thomas Schaal monierte daher, dass ausgerechnet Sabine Brennenstuhl in seine Ausführungen „reinquatscht“, wo doch sie es war, die bei der OB-Vereidigung dazu gemahnt hatte, dass man einander zuhört. Er ist überzeugt, dass die Parkplätze auf dem Archivplatz komplett wegfallen, wenn die neue Bücherei dort entsteht, und wünscht sich, dass dies nach außen auch so kommuniziert werde.
Seine Fraktionskollegin Julia Schilling erklärte: „Wir sind eine Demokratie, und wir sind gewählt worden von unseren Bürgern, und da muss es doch auch ein kritisches Hinterfragen geben dürfen.“ Sie selbst sei mit ihren Kindern früher sehr gern in die Bücherei gegangen und meinte demzufolge: „Die, die derzeit in die Bücherei gehen, brauchen nicht das Aufgehübschte, das brauchen nur wir hier“, wobei die Finanzen offenbar „keine Rolle“ spielten. Dass Kritiker des Projekts als Erbsenzähler bezeichnet werden, und dass „ein Raunen durch den Raum geht“, wenn jemand auf die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Stadt verweist, empfand sie als „ignorant“.
Ihr sei es wichtig, dass man „jeden aussprechen lässt, der dazu was sagt“. Doch die SPD-Fraktion unterhalte sich nebenher: „Ihr hört sie nicht mal an!“, und einer verlasse gar den Saal, tadelte sie. Daraufhin meinte Hornikel: „Wenn Sie wollen, dass ich hier Sitzungspolizei spiele, werde ich das tun, aber auch auf der anderen Seite“, und bezeichnete ihren Redebeitrag als „unsachlich“.
Auch CDU-Rat Manfred Bantel erklärte: „Es ist schwierig in dieser allseitigen Euphorie Bedenken zu äußern.“ Er stellte klar: „Wir stimmen hier über 11,4 Millionen Euro ab, nicht über 8,5 Millionen, denn dazu kommen noch Einrichtung und Ausstattung.“ Auf die in Aussicht gestellten Fördermittel vom Land wolle er sich nicht verlassen, denn in Aalen wurde ganz aktuell ein Projekt trotz vorheriger Zusage dann doch nicht gefördert. Das finanzielle Risiko müsse letztendlich die Stadtkasse tragen.
Zudem fielen 1,2 Millionen Euro Unterhaltskosten für die neue Bücherei an, 450.000 Euro mehr als momentan: „Können wir uns das leisten, in Zeiten, wo wir bei den Bäderbetrieben jetzt schon 2 Millionen Euro jährlich Abmangel haben?“ Er sei es als Kaufmann gewohnt, alles zu beachten. In diesem Zuge zweifelt er auch daran, dass das Projekt „das ganz große Ding“ sei, „das die Innenstadt aufwertet“. Er habe lange Zeit in Kirchheim ein Modegeschäft betrieben, wo die Bücherei in der Innenstadt ansässig ist, „und die war da kein Frequenzbringer“.
In die gleiche Kerbe schlug Kirsten Katz (Grüne), die sich nicht vorstellen kann, dass die vorgesehene Personaldecke ausreicht, wenn man nur 1,7 zusätzliche Stellen schaffe, dies aber für eine doppelt so große Fläche und mit Öffnungszeiten, die von 31 auf 76 Stunden aufgestockt werden sollen: „Mir ist nicht wohl, wenn wir da von Anfang an auf Ehrenamtliche setzen.“
„Die finanzielle Lage der Stadt ist schlecht“, begann Andreas Schneider seine Rede und fragte: „Wer soll das alles bezahlen?“ Bereits vor der Ukrainekrise habe die Verwaltung den Etat für die Gebäudeunterhaltung ihrer insgesamt 180 Immobilien auf die Hälfte heruntergefahren. Das heißt, dass bei allen anfallenden Reparaturen in Schulen, Hallen und anderen Einrichtungen künftig extrem gespart werden müsse. Aus diesem Grund hält er es für „höchst fahrlässig“ ein großes Neubauprojekt zu beschließen. Mit den Flüchtlingen kämen neue Aufgaben auf die Stadt zu, was den Handlungsspielraum der Verwaltung bei ihren Pflichtaufgaben „stark einschränken“ werde – nicht zuletzt auch im bestehenden Kulturbereich.
„Manche Politiker hinterlassen keine Spuren und deshalb wollen sie dieses Defizit mit Betonklötzen ausgleichen“, sagte AfD-Rat Lars Haise. Er sprach von „Doppelzüngigkeit“, wenn man „peinlichst genau“ von jedem Häuslebauer Klimaschutz-Auflagen einfordere, aber „geflissentlich die für die Stadtbücherei auf knallrot stehende Klima-Ampel“ nicht beachte. Auch scheine die finanzielle Nachhaltigkeit „ohne Belang“ zu sein. „Während man einerseits Kindergartengebühren erhöht, will man hier mindestens 8,5 Millionen Euro Steuergeld versenken“.
In Anbetracht sich abzeichnender Lieferengpässe „bei einfachsten Baumaterialien wie Nägeln und Schrauben“ frage er sich: „Kann man unter diesen Vorzeichen wirklich noch bauen? Wir sagen Nein!“ Er mahnte, einen Blick in die Nachbarschaft zu tun: „Beim Neubau des Landratsamtes in Waiblingen werden allein die budgetierten Rohbaukosten um 34 Prozent gegenüber der Planung überschritten und die Baumaterialkosten sind allein in diesem Jahr um etwa 30 Prozent explodiert“, also innerhalb von drei Monaten. Er hätte sich für das Büchereiprojekt einen Bürgerentscheid gewünscht. Ganz konkret fragte er, ob der Vertrag mit dem Generalübernehmer eine Baustoffkostenklausel enthält, denn „den Vertrag haben wir nicht zu Gesicht bekommen“.
Ihm antwortete Rechtsanwalt Dr. Frank Meininger, der das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren juristisch begleitet hat: Ein solcher Wunsch „ist nicht an uns herangetragen worden“. Doch ohnehin sei, falls die Baustoffkosten in unerwartet hohem Ausmaße steigen, „ein Geschäftspartner irgendwann nicht mehr an den Vertrag gebunden“. Bürgermeister Englert hingegen erklärte: „Mehr Sicherheit kann ich Ihnen in keinem Vertrag einräumen.“ Kostenexplosionen „können wir heute nicht beeinflussen“. Er sei Demokrat und habe den Auftrag für den Neubau vom Gemeinderat erhalten: „Ich bin Ihr Umsetzer“. Einen Notfallplan gebe es nicht, im schlimmsten Fall müsse man die Mehrkosten „aus eigenen Mitteln finanzieren“.
Auf Haises Befürchtung hin, dass die Finanzierung „nicht solide geplant ist“ und Fördergelder vom Land „noch gar nicht auf dem Konto liegen“, sondern nur „in Aussicht gestellt“ seien, erwiderte OB Hornikel, dass eine schriftliche Zusage mit einem Schreiben vom 7. September 2021 vorliege. Er zitierte den dafür zuständigen Ministerialrat König, der schrieb, dass der Schorndorfer Bücherei-Neubau „ein ganz besonderes Leuchtturmprojekt“ darstelle.
Die Frage von Peter Schwan (FDP/FW), ob das neue Gebäude mit Gas oder Erdöl beheizt werde, blieb unbeantwortet. Er hält den Einsatz alternativer Heiz- und Energietechnik für ein Gebot der Stunde, um die gewünschten Klimaziele einzuhalten. Auch könne er nicht nachvollziehen, dass das Denkmalamt auf dem Dach der Meierei keine Solaranlage duldet, weil dies das Erscheinungsbild störe: „Der Betonbau daneben beeinflusst das Erscheinungsbild viel mehr.“ Deshalb enthielt er sich am Ende der Stimme, obwohl er „grundsätzlich für die Bücherei“ sei.
Max Klinger ereiferte sich schließlich in einem von seinem CDU-Fraktionskollegen Schaal als „Wutrede“ bezeichneten Statement: „Was ist denn, wenn wir heute Abend auf den ‚roten Knopf‘ drücken?!“ Eine Menge Geld für die Vorplanung wäre dann verlorengegangen, und: „Was ist denn mit den zugesagten Geldern von 4 Millionen Euro? Darauf müssten wir verzichten!“ Den Kritikern des Projekts warf er „populistischen Sparsamkeitswahn“ und „kleinkrämerische Rummäkelei“ vor.
Im Ältestenrat war eine namentliche Abstimmung beschlossen worden. Gegen das Vorhaben stimmten (in alphabetischer Reihenfolge) Manfred Bantel (CDU), Iris Greiner (CDU), Lars Haise (AfD), Kirsten Katz (Grüne), Franz Laslo (AfD), Thomas Schaal (CDU), Julia Schilling (CDU) und der fraktionslose Andreas Schneider. Jochen Schäfer und Peter Schwan (beide FDP/FW) enthielten sich der Stimme. Entschuldigt abwesend waren Ulrich Bußler (AfD), Sissy Lamm (FDP/FW) und Werner Neher (GLS).
siehe dazu: Kommentar „Die acht Aufrechten“