Kommentar
Man muss kein Mathe-As sein, um sich auszurechnen, dass angesichts explodierender Materialkosten der Bücherei-Neubau finanziell gesehen ein Fass ohne Boden werden wird. In der Gemeinderatssitzung, in der dieser mehrheitlich beschlossen wurde, sagte Rechtsanwalt Dr. Frank Meininger, dass, falls die Baustoffpreise in unerwartet hohem Ausmaße steigen, „ein Geschäftspartner irgendwann nicht mehr an den Vertrag gebunden“ sei. Woraufhin Bürgermeister Englert unumwunden zugab: Im schlimmsten Fall müsse man die Mehrkosten „aus eigenen Mitteln finanzieren“. Diese „eigenen“ Mittel sind nicht seine. Es sind die Steuern der Bürgerschaft, die er im Haushalt der Stadt nur zu verwalten hat.
Im OB-Wahlkampf voriges Jahr hatte sich der Kandidat Reiners eindeutig für die neue Stadtbücherei ausgesprochen – und unterlag Bernd Hornikel. Dieser hatte noch im November explizit erklärt: „Es ist nicht die Zeit für Prestigeprojekte“. In der Sitzung am Donnerstag hingegen sagte er nun, „guten Gewissens“ für die Baumaßnahmen stimmen zu können. Darüber wird der eine oder die andere enttäuscht sein, sich möglicherweise gar getäuscht fühlen. Nun kann man darüber streiten, was als „Prestigeprojekt“ gilt und was nicht. Doch hat der neue OB in dieser Sitzung selbst das Wort „Leuchtturmprojekt“ ausgesprochen.
Die BürgerInnen wurden nicht gefragt, ob sie einverstanden sind, in diesen Neubau so viel Geld zu pumpen. Da Schorndorfs Schulden in den letzten Jahren exorbitant auf inzwischen über 180 Millionen Euro gestiegen sind, ist jedem klar: Das Geld muss anderswo eingespart, oder durch eine Erhöhung von Abgaben wieder reingeholt werden. Kita-Gebühren und Hundesteuer werden steigen, der Ordnungsdienst wird angewiesen werden, mehr Falschparker aufzuschreiben und Blitzer aufzustellen.
Manche von denen, die am Donnerstag für diese Investition gestimmt haben, werden sich vermutlich später, wenn das böse Erwachen kommt, rausreden mit einem „Das hat ja keiner wissen können!“
Doch.
Denn es gibt sie, die Volksvertreter, die sich immer noch daran erinnern, wozu sie sich an ihrem ersten Tag im Gemeinderat verpflichtet haben, nämlich dem Wohl der Stadt und ihrer Bürger zu dienen: die Rätinnen Greiner, Katz und Schilling sowie die Räte Bantel, Haise, Laslo, Schaal und Schneider. Sie nehmen ihre Verantwortung ernst, mit den ihnen anvertrauten Steuergeldern so umzugehen, als wäre es ihr eigenes Geld. Diese acht Aufrechten sind keineswegs Kulturbanausen. Auch sie würden den SchorndorferInnen von Herzen gern eine neue Bücherei gönnen. Nur sehen sie eben auch die Kehrseite der Medaille. Sie sind nicht auf dem anderen Auge blind, nämlich dem, das die finanziellen Konsequenzen sieht.
Es ist höchst ehrenwert, dass sie es sich nicht leicht machten, und mit dem einzigen Argument „Bildung“ alle anderen Erwägungen über Bord warfen. Dass sie sich nicht selbst in die Tasche lügen, indem sie sagen: „Es ist ja für einen guten Zweck.“ So kann man es ihnen nicht hoch genug anrechnen, dass sie dennoch zu ihrer Überzeugung stehen, auch wenn sie dadurch scharfen Gegenwind, ja, sogar Beleidigungen über sich ergehen lassen müssen. Dass sie in Kauf nehmen, sich unbeliebt zu machen, nur weil sie der Stimme der Vernunft folgen.
Vor über 40 Jahren war es nur ein einziger Stadtrat, Helmut Schwarz, der sich traute, in einer allgemeinen Euphorie gegen das Traumprojekt „Stadthalle“ zu stimmen. Jetzt waren es bereits acht an der Zahl. Das ist ein Viertel des Gremiums. Rechnet man noch zwei Enthaltungen dazu, dann stellen sie bereits fast ein Drittel unserer Volksvertreter in diesem Gremium dar. Das gibt Anlass zur Hoffnung.