Gruppendruck im Gemeinderat

Wer sich fragt, wie es zu gra­vie­ren­den Fehl­ent­schei­dun­gen im Ge­mein­de­rat kom­men kann, muss sich vor Au­gen hal­ten, dass dort auch nur Men­schen sit­zen. Und: Dass die­ses Gre­mium auch nur eine Gruppe wie jede an­dere ist, in der un­be­wusste Grup­pen­zwänge herr­schen. Hinzu kommt ein Phä­no­men, das So­zi­al­psy­cho­lo­gen als „Hid­den Pro­files“ be­zeich­nen, weil we­sent­li­che Ar­gu­mente schlicht nicht aus­ge­tauscht wer­den.

Ge­gen den sehr am­bi­tio­nier­ten Bau ei­ner Stadt­halle vor über 40 Jah­ren in Schorn­dorf gab es im da­ma­li­gen Ge­mein­de­rat nur eine ein­zige Ge­gen­stimme: die von Stadt­rat Hel­mut Schwarz. In Krei­sen der SPD, so wurde in spä­te­ren In­ter­views an­ge­ge­ben, sei man auch eher skep­tisch dazu ein­ge­stellt ge­we­sen. Al­ler­dings schlug sich dies of­fen­sicht­lich nicht in de­ren Ab­stim­mungs­ver­hal­ten nie­der.

Es ist wis­sen­schaft­lich er­wie­sen, dass ab­wei­chende Mei­nun­gen in ei­ner Gruppe sel­te­ner ge­äu­ßert wer­den als jene, mit de­nen man bei den an­de­ren Mit­glie­dern auf Zu­stim­mung stößt. Psy­cho­lo­gen er­klä­ren dies da­mit, dass wir als so­ziale We­sen auf­ein­an­der an­ge­wie­sen sind. Der Hirn­for­scher Ge­rald Hüt­her sagt, dass wir uns nur ge­mein­sam ent­wi­ckeln kön­nen. Kein Kind lerne von sich aus lau­fen oder spre­chen, wenn es nicht von Men­schen um­ge­ben ist, die es ihm vor­ma­chen und da­bei hel­fen.

Die Kehr­seite der Me­daille ist, dass man sich der Gruppe mit­un­ter zu sehr an­passt, um dazu zu ge­hö­ren. Der So­zi­al­psy­cho­loge So­lo­mon Asch hat im Jahr 1951 in sei­nem „Kon­for­mi­täts­expe­ri­ment“ nach­ge­wie­sen, dass Men­schen ihre ei­gene Ein­schät­zung dann ver­wer­fen, wenn sie auf ein Über­maß von Ge­gen­mei­nun­gen tref­fen. Nur ein Vier­tel der Pro­ban­den blieb im Ex­pe­ri­ment stand­haft. Für drei Vier­tel war es wich­ti­ger, sich mit den an­de­ren im Gleich­klang zu füh­len.

Der un­be­streit­bare Vor­teil von Grup­pen liegt darin, dass darin meh­rere Sicht­wei­sen zu­sam­men­kom­men, und so­mit – sollte man mei­nen – Ent­schei­dun­gen auf ei­ner brei­ten Ba­sis ge­trof­fen wer­den. Das Pro­blem ist je­doch: Diese un­ter­schied­li­chen Ein­schät­zun­gen wer­den oft­mals gar nicht mit­ge­teilt. Psy­cho­lo­gen nen­nen die­ses Phä­no­men „Hid­den Pro­files“: In der Dis­kus­sion wer­den eher jene Ar­gu­mente be­nannt und dis­ku­tiert, die be­reits be­kannt und von al­len an­er­kannt seien. Der Grund: siehe oben. Wert­volle wei­tere In­for­ma­tio­nen fal­len hin­ge­gen un­ter den Tisch.

Die So­zi­al­psy­cho­lo­gen Prof. Dr. An­dreas Mo­j­zisch und Dr. Jan A. Häus­ser ha­ben das aus­führ­lich in ih­rem Auf­satz „Fehl­ent­schei­dun­gen in po­li­ti­schen Gre­mien“ dar­ge­stellt. Darin schrei­ben sie, es mag über­ra­schen, „dass Hid­den Pro­files nur sel­ten ge­löst wer­den“. Je nach Stu­die liege die Lö­sungs­rate zwi­schen 10 und 35 Pro­zent, und in Fäl­len, wo alle Grup­pen­mit­glie­der von An­fang an die glei­che Ent­schei­dung fa­vo­ri­sier­ten, ten­diere sie ge­gen Null. Die Wis­sen­schaft­ler schluss­fol­gern: „Iro­ni­scher­weise schei­tern Grup­pen also aus­ge­rech­net in den­je­ni­gen Si­tua­tio­nen, in de­nen sich Grup­pen­ent­schei­dun­gen be­son­ders aus­zah­len kön­nen.“

Im Bei­spiel er­klärt: Da gibt es ein Pro­jekt, für das 10 Ar­gu­mente spre­chen, aber 20 Ar­gu­mente da­ge­gen. Wenn in ei­ner zehn­köp­fi­gen Gruppe je­der nur je­weils zwei die­ser Ge­gen­ar­gu­mente kennt, ist die Wahr­schein­lich­keit, dass er sie äu­ßert, ge­ring, weil er fürch­tet, für eine ab­wei­chende Mei­nung kri­ti­siert zu wer­den. Tat­säch­lich wurde ja im Fall der Stadt­halle Schorn­dorf der ein­zige Stadt­rat, der ge­gen die Pläne war, als „Un­ru­he­stif­ter“ be­zeich­net.

Die Frage lau­tet also: Wie kann man gra­vie­rende Fehl­ent­schei­dun­gen in ei­nem sol­chen Gre­mium ver­hin­dern? Prof. Mo­j­zisch und Dr. Häus­ser emp­feh­len, dass erst Sach-Ar­gu­mente aus­ge­tauscht wer­den, be­vor eine Ent­schei­dung fällt. Wenn sich die Mit­glie­der der Gruppe erst ein­mal auf eine ei­gene Mei­nung fest­ge­legt ha­ben, kön­nen sie spä­ter nicht mehr da­von ab­rü­cken, ohne zu be­fürch­ten, ihr Ge­sicht zu ver­lie­ren. In ih­rem Fa­zit ha­ben die Au­toren bei den Ent­schei­dungs­trä­gern eine „Ten­denz zur Selbst­über­schät­zung und zu eng­stir­ni­gem Vor­ge­hen“ aus­ge­macht, die vor­schnell in ver­meint­lich „al­ter­na­tiv­lo­sen“ Ent­schei­dun­gen re­sul­tie­ren könne.

Ein an­de­rer Tipp lau­tet: „Hier­ar­chien ver­mei­den“. Oft trau­ten sich Mit­glie­der mit „nied­ri­gem Sta­tus“ in der Gruppe nicht, ihr Wis­sen ein­zu­brin­gen. Dem­ge­gen­über wür­den die Ar­gu­mente von Mit­glie­dern mit ho­hem Sta­tus in­ten­siv dis­ku­tiert. Es käme der Ent­schei­dungs­fin­dung zu­gute, wenn sich diese erst ein­mal mit ih­rer Be­wer­tung zu­rück­hiel­ten.

Ebenso wich­tig sei, dass man ein Klima schafft, in dem alle Mei­nun­gen und Ar­gu­mente aus­nahms­los ge­wür­digt wer­den. Eine Äu­ße­rung wie „Das ist jetzt nicht mehr ver­han­del­bar“ tö­tet jede of­fene Dis­kus­sion im Keim. Diese aber ist not­wen­dig, um mög­lichst viele Aspekte zu be­rück­sich­ti­gen. Nur so kann dem Wäh­ler­wil­len am ehes­ten tat­säch­lich ent­spro­chen wer­den.

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