Gastbeitrag von Clarissa Pinkola Estés
Die Psychoanalytikerin und „Cantadora“ Clarissa Pinkola Estés hat voriges Jahr einen Brief an eine junge Aktivistin geschrieben, der ebenso ermutigend wie wegweisend ist. Nach Teil I und Teil II hier der vorletzte Teil:
„Jede dunkle Zeit birgt die Verlockung, in eine Ohnmacht zu sinken, um sich auszuklinken aus einer Welt, in der so viel falsch läuft oder reparaturbedürftig ist. Fokussiere Dich nicht darauf. Mach Dich nicht selbst krank durch Überforderung. Es besteht die Gefahr, Dich selbst zu schwächen, indem Du Dich auf etwas versteifst, was außerhalb Deiner Möglichkeiten liegt, etwas, wofür die Zeit noch nicht reif ist. Fokussiere Dich nicht darauf. Denn das hieße, den Wind verstreichen zu lassen ohne Segel zu setzen.
Wir werden gebraucht. Das ist alles, was wir wissen. Und obwohl wir dabei auf Widerstände stoßen, treffen wir in noch größerem Umfang auf große Seelen, die uns freudig begrüßen, die uns lieben und leiten, und wir werden sie in dem Moment erkennen, wenn sie in unserem Leben auftauchen.
Hast Du nicht gesagt, Du seist ein gläubiger Mensch? Hast Du mir nicht gesagt, Du habest fest versprochen, auf eine Stimme zu hören, die größer ist als Du? Hast Du nicht um Gnade gebeten? Hast Du vergessen, dass Du diese Gnade nur erlebst, wenn Du Dich dieser größeren Stimme unterwirfst? Du hast alle Ressourcen, die Du brauchst, um auf jeder Welle zu reiten, um aus jeder Tiefe wieder aufzutauchen.
Um es in der Sprache der Piloten und Seeleute auszudrücken: Jetzt heißt es für uns „volle Kraft voraus!“ Begreife das Paradoxe: Wenn Du die physikalischen Kräfte eines Wasserstrudels betrachtest, siehst Du, dass dessen Randbereich sich weitaus schneller dreht als der innere. Einen Sturm zu besänftigen, bedeutet, dass man diesen Außenbereich beruhigten muss, um ihn dazu zu bringen, durch welche Ausgleichsmaßnahmen auch immer, langsamer zu drehen, sich geschmeidiger der Geschwindigkeit des inneren, deutlich weniger aufgepeitschten Kerns anzugleichen – so lange, bis das, was sich in diesem bösartigen Schlot hochgepeitscht hat, wieder auf die Erde zurückfällt, sich legt, wieder friedvoll ist.
Einer Deiner wichtigsten Schritte, um beim Beruhigen des Sturms zu helfen, besteht darin, dass Du Dich nicht von einem Gestöber überdrehter Gefühle oder Verzweiflung überwältigen lässt. Dadurch würdest Du dieses Wirbeln unwillkürlich nur noch mehr befeuern. Wir müssen nicht die ganze Welt auf einmal retten, sondern uns nur jenem Teil der Welt zuwenden, der in unserer Reichweite liegt, und dort mit Verbesserungen beginnen.
Jedwede kleine, gelassene Sache, die eine Seele tun kann, um einer anderen Seele zu helfen, um einem Teil dieser armen leidenden Welt beizustehen, wird immens helfen.“
Schluss folgt