In der jüngsten Sitzung des Technischen Ausschusses (TA) wähnte man sich kurzzeitig wie im Märchen. Genauer: wie in jenem Märchen, wo eine Prinzessin, die der böse Drache auf dem Glasberg gefangen hält, befreit wird. Der erste edle Ritter, der mit seinem Ross den Berg erklimmen will, rutscht schon sehr bald ab. Auch der zweite kühne Recke schafft es nur bis zur Hälfte. Erst ein unbekannter Reiter, wie aus dem Nichts aufgetaucht, schafft den Weg bis zur Spitze und erlöst so die Gefangene.
Entsprechend hatten der FDP- und der CDU-Fraktionsvorsitzende im Schorndorfer Sitzungssaal zwar wacker ihren Unmut über die Tatsache geäußert, dass die Bausubstanz der Meierei für die neue Bücherei von der Verwaltung nicht ausreichend geprüft worden war. Danach aber rutschten sie wieder in die alte Gewohnheit, dem Antrag der Rathausspitze – wenn auch unter Seufzen und der Mahnung, dass so etwas nicht wieder vorkommen solle – zuzustimmen.
Und dann kam Tobias Schmid von den Grünen. Ein völlig unbeschriebenes Blatt im Gemeinderat, denn erst frisch gewählt. Mit einem Par-Force-Ritt erreichte er den Gipfel des „Glasbergs“ und brachte die verwunschene Prinzessin – sprich: die Schorndorfer Bevölkerung – in Sicherheit vor dem bösen Schulden-Drachen. Indem er ganz ruhig und sachlich begründete Zweifel an den Ausführungen der Verwaltung äußerte.
Dass das Fachwerk der Meierei nicht besser untersucht wurde, bevor man den Gemeinderat um Zustimmung für das Projekt bat, rügte er ebenso, wie er die Kompetenz der für die Arbeiten verpflichteten Firma Holzbau Hieber in Zweifel zog.
Dem Ganzen setzte Schmid die Krone auf, als er berichtete, dass in Frankfurt ein Haus – sogar mit Schmuck-Fachwerk – für nur 700.000 Euro neu errichtet wurde. Wie könne es dann sein, dass ein weniger aufwendiges Vorhaben in Schorndorf 1,9 Millionen Euro kosten soll? Also sehr viel mehr als das Doppelte.
Tobias Schmid hat einen Vorteil gegenüber manch altem Hasen im Gremium: Er ist Architekt. Er hat das nötige Fachwissen, um Aussagen der Verwaltung nicht einfach schlucken zu müssen. Hinzu kommt aber noch, dass er es nicht dabei beließ, die Angaben der Sitzungsvorlage nur akribisch zu überprüfen, sondern auch noch weitere Recherchen anstellte.
Das macht nicht jeder Stadtrat. Und das müssen unsere Volksvertreter auch gar nicht. Denn ihre Funktion als „Feierabendpolitiker“ (wie Politikwissenschaftler Georg Wehling sie bezeichnete), entspricht mehr denen von Schöffen im Gericht. Auch sie sollen dem gesunden Menschenverstand dort Geltung verschaffen, jenseits von allen juristischen Spitzfindigkeiten.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Schöffen nicht nur eine Sicht der Dinge präsentiert bekommen (nämlich die der Obrigkeit), sondern auch den Anwalt der Gegenseite hören. Diesen Teil hatte Tobias Schmid jetzt in der TA-Sitzung übernommen.
Um auch bei anderen Sach-Themen dergleichen zu ermöglichen, wenn dazu kein Fachmann in der Fraktion sitzt, ist übrigens überhaupt kein Hexenwerk. Denn der Gemeinderat kann laut § 18 seiner Geschäftsordnung jederzeit sachkundige Menschen hinzuziehen und in der Sitzung anhören.
Denn um Anträge der Verwaltung nur abzunicken, braucht es keinen Gemeinderat. Dafür reichten Pappfiguren, an deren Köpfen der Oberbürgermeister nur mit einem Schnürle ziehen muss.
Hoffnung macht deshalb der hier erlebte Auftakt in die neue Amtsperiode des Gremiums. Dass der neue Gemeinderat mehr solcher engagierten Diskussionen mit sich bringt, an deren Ende die gemeinsam gefundene, beste Entscheidung für die Einwohnerschaft steht, muss also kein Märchentraum bleiben.