Kommentar«
Es ist keine Schorndorfer Erfindung, bei Prestigeprojekten den wahren Preis nicht von Anfang an zu nennen, sondern scheibchenweise zu enthüllen in Form „unvorhergesehener Zusatzkosten“. Das wird überall so gemacht. Denn diejenigen, die solche „Leuchttürme“ bauen wollen, wissen genau, dass sie zum wahren Preis nie von der Bevölkerung genehmigt würden.
So hatte zwar Bürgermeister Englert erklärt, dass über kein Gebäude in Schorndorf ein besserer Zustandsbericht existiere, als über jenes, in das die Bücherei einziehen soll. Plötzlich aber entdeckt man, dass 60 Prozent der Holzkonstruktion marode ist – wodurch das Leuchtturmprojekt teurer wird. Ach!
Angenommen, er wusste von diesem Schaden, bevor der Gemeinderat den Baubeschluss fasste, dann wäre das eine schwerwiegende Unterschlagung von Informationen gegenüber den StadträtInnen.
Angenommen, das Holz wurde damals tatsächlich nicht auf Schäden durch Epoxidharz untersucht, dann wäre das ein schwerwiegendes Versäumnis, angesichts des Vorwissens über solche Schäden am Museum.
Der dritte Fall wäre, dass Englert diese Schäden einfach nur nicht wissen wollte. Dass er sich seine Unschuld selbst in die Tasche lügt. Und dafür den Gemeinderat – völlig unwissend – zum Komplizen gemacht hat.
In einem Wirtschaftsunternehmen wäre in so einem Fall das Verhältnis zwischen einem Angestellten und dem Vorstand unrettbar zerrüttet. Der mag es nämlich gar nicht, wenn er belogen wird. Und eigentlich müsste sich auch der Gemeinderat fragen, wie es mit seinem Vertrauensverhältnis gegenüber diesem Bürgermeister aussieht.
Er wird es nicht tun.
Der Schorndorfer Gemeinderat neigt nicht dazu, klare Verhältnisse zu schaffen. Er vertraut der Verwaltung blind, die ihm versichert: am Ende wird alles gut. Er verhält sich wie die Ehefrau eines Spielsüchtigen, die ihm immer und immer wieder abnimmt, dass er ab morgen damit aufhört. Obwohl sie es besser weiß.
Das Schlimme daran ist, dass sie sich dadurch mitschuldig macht. Denn bei seiner verzweifelten Geldbeschaffung schreckt ihr Mann auch nicht vor den Sparschweinen der eigenen Kinder zurück. Deren Geld, das sie sich durch Zeitungsaustragen und Nachhilfe Cent für Cent verdient haben. Der Vater ist süchtig, also in seiner Entscheidungskraft geschwächt. Die Kinder haben keine Macht. Es liegt an der Ehefrau und Mutter zu sagen: Stopp! Ich mach da nicht mehr mit.
Es ist keine Schorndorfer Erfindung, bei Prestigeprojekten den wahren Preis zu verschweigen, um sich die Zustimmung des Gemeinderats zu erschleichen. Es besteht aber die Chance, dass in Schorndorf ein Exempel statuiert wird, dieser Praxis ein Ende zu bereiten. Die Chance ist groß. Dieses Gremium ist neu gewählt worden. Es enthält nur noch 12 RätInnen, die dem Projekt einst zugestimmt haben.
Seien wir ehrlich: In der Bevölkerung hat nie ein brennendes Interesse an diesem Neubau bestanden. Wie Stadträtin Julia Schilling schon sagte: Diejenigen, die die Bücherei nutzen, sind durchaus zufrieden mit den bestehenden Verhältnissen. Sie spricht aus eigener Erfahrung. Der neue Kulturtempel sei vorwiegend ein Traum der Stadtoberen zusammen mit einem Teil des Bildungsbürgertums.
Wenn der neue Gemeinderat dieses Projekt stoppen würde, hätte er die Bevölkerung auf seiner Seite – nach dem Motto „lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende“. Sprich: Dem Geld, das bereits dafür ausgegeben wurde, nicht nachtraueren, sondern sich freuen, wie viel zusätzliches Geld man einspart, denn offenbar ist das Projekt ein Fass ohne Boden. Wir erinnern uns: Ursprünglich hieß es, die Bücherei wird nicht teurer als 5 Millionen. Für 8,5 Millionen wurde er beschlossen, da war die Ausstattung aber noch nicht inbegriffen.
Immer wieder, sogar direkt vor dem Baubeschluss, betonte die Rathausspitze, dass die StadträtInnen jederzeit den „Roten Knopf“ drücken könnten, falls die Kosten aus dem Ruder laufen. Dieser Fall ist jetzt eingetreten.
Zusammen mit dem, was keiner vorhersehen konnte: ein Hochwasser, das Schäden in Millionenhöhe an städtischen Einrichtungen verursacht hat. Diese Schäden zu beseitigen, ist Pflichtaufgabe. Für den Büchereineubau bemühen deren Fans das Stichwort „Bildung“ um ihn als Pflichtaufgabe zu bezeichnen. Aber wir alle wissen: Die ist nicht auf einen Kulturtempel angewiesen.
Der Gemeinderat hat vor zwei Jahren den Bücherei-Neubau zu einem „garantierten Festpreis“ von 8,5 Millionen Euro beschlossen. Gleichzeitig hatte Englert bereits im Haushalt Ausgaben von 11,4 Millionen für das Projekt angesetzt – als vorsorglichen „Puffer“ für „unvorhergesehene“ Zusatzkosten. Der finanzielle Aufwand für die Ausstattung ist darin noch nicht enthalten.
Sogar Bürgermeister Englert würde sich einem Abbruch dieses verkorksten Unternehmens nicht in den Weg stellen. Denn stets hat er betont, dass der Gemeinderat der „Herr des Verfahrens“ ist. Dass dieses Gremium allein entscheidet.
Denn Englert selbst versteht sich laut eigener Aussage als einer, der sich in den Dienst der Stadt stellt, vor allem und in erster Linie als „Demokrat“. Indem er ausführt, was ihm der Rat vorgibt.
Da darf man ihn durchaus beim Wort nehmen.