Heute vor 75 Jahren, am 30. Juni 1946, wurde die Schorndorferin Rosa Kamm in die Verfassungsgebende Landesversammlung von Württemberg-Baden gewählt – als eine von 7 Frauen unter insgesamt 100 Mitgliedern. Im Jahr 1919 hatte der Frauenanteil des vergleichbaren Gremiums bei 9,4 Prozent gelegen.
Die Wählerschaft war offenbar schwer zu mobilisieren gewesen. Die Wahlbeteiligung betrug nur 59,41%, in kleinen Ortschaften, wie etwa Schlichten oder Buhlbronn lag sie gar nur bei 23%, wie das „Amtsblatt für den Kreis Waiblingen“ berichtete. Als Grund dafür wurde dort ausgemacht: „Viele Landleute bangten um ihre Ernte und sahen die Heimbringung, nach bedrohlicher Schlechtwetterperiode durch schönstes Wetter begünstigt, als dringlicher an, wie den Gang zur Wahlurne. Andere waren von einer bedauerlichen politischen Passivität befangen.“
Die Wahlwerbung hatte sie offenbar nicht erreicht. Beispielsweise pries die „Demokratische Volkspartei“ ihren Spitzenkandidaten Reinhold Maier per Flugblatt als „einen Heimatkandidaten in des Wortes schönster und wahrster Bedeutung“ an. Er sei „ein treuer Sohn seiner Vaterstadt und des Remstals“. Nachdem sein Haus in Stuttgart von Bomben zerstört worden war, hatte er sich wieder in Schorndorf angesiedelt. „Kein Dörfchen und kein Weiler im Kreis Waiblingen ist ihm unbekannt“, hieß es weiter, und „die Nöte jedes einzelnen Standes, die Sorgen der Arbeiter, Bürger und Bauern kennt er aus seinem täglichen Umgang mit ihnen.“
Von den amerikanischen Besatzern war Maier bereits im September 1945 als Ministerpräsident der vorläufigen Regierung Württemberg- Badens eingesetzt worden. Im Flugblatt hieß es, dass er in seiner Heimatstadt „mitten unter uns, ein Schwabe unter Schwaben, wohnt und lebt, und wir wissen, in einfacher und bescheidener Lebensweise“. Außerdem: „Mit seltenem Mut stellte er in der vordersten Linie seinen Mann im Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus bis zum bitteren Ende“ – wohl wissend, dass Maier 1933 dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatte (wir berichteten), während die SPD es geschlossen ablehnte, und nur durch einen Trick die nötige Zweidrittelmehrheit erreicht wurde.
Zu den gewählten Frauen gehörte – als SPD-Mitglied wie Rosa Kamm – auch die Schriftstellerin Anna Haag, geborene Schaich, die als Lehrerstochter in Althütte zur Welt kam. Die Pazifistin hatte ihre Alltagsbeobachtungen während des Krieges in Tagebuchform festgehalten, das jedoch im Jahr 1945 keinen Verleger fand. Jetzt im März 2021 erschien es unter dem Titel „Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode“ und wird begeistert gefeiert, ja sogar den Klemperer-Tagebüchern im Rang gleichgestellt.
Aus den Reihen der CDU wurden die promovierte Juristin Maria Friedemann aus Stuttgart in das Gremium gewählt sowie Maria Raiser und Anna Walch, die beide kirchlich-sozial sehr engagiert waren: erstere als Protestantin in Stuttgart, zweitere als Katholikin in Karlsruhe. Von der Kommunistischen Partei gehörten Gertrud Frühschütz und Antonie Langendorf dieser Landesversammlung an. Beide waren Widerstandskämpferinnen, von den Nazis inhaftiert, und deshalb bereits ins Vorläufige Landesparlament berufen worden.
Im Wahlkreis Waiblingen, zu dem Schorndorf gehörte, wurden laut Amtsblatt Gottlob Kamm (SPD) und Karl Dippon aus Beutelsbach (CDU) gewählt. Reinhold Maier (DVP) stand zwar auf Platz 1 der Wahlliste, war aber über die Landesliste abgesichert. So dass er auf seinen Sitz für den Wahlkreis verzichtete, und Malermeister Gottlob Kopp aus Waiblingen nachrückte. Rosa Kamm wurde demnach ebenfalls über die Landesliste Mitglied des Gremiums.
Landesweit entfielen auf die CDU 40.9% der Stimmen, auf die SPD 32,3%, die DVP 16,8% und die KPD 10%. In der Stadt Schorndorf gaben 4.295 Menschen ihre Stimme ab, womit die Wahlbeteiligung um 2 Prozentpunkte höher lag als in ganz Württemberg-Baden. Hier kam die CDU nur auf 23,63%, die SPD auf 35,32%, die DVP auf 30,29% und die KPD auf 7,26% der Stimmen. Mithin lag das Ergebnis für die SPD hier etwas über dem Landesdurchschnitt und bei der DVP um 13,5 Prozentpunkte darüber, zu Lasten von CDU und KPD.