Glosse
Da schreibt einer in seinem Wahlkampf-Prospekt, er will „mit Herz und Verstand“ unser Stadtoberhaupt sein, er wolle „ein Oberbürgermeister für alle“ sein. Er wolle die Kitagebühren senken, wolle den Senioren ausreichend Parkplätze im Zentrum zur Verfügung stellen, und – Sie ahnen es schon: die Schulden der Stadt jährlich um 1 Million Euro senken.
Richtig. Ich spreche vom Prospekt unseres bis unlängst gewesenen Oberbürgermeisters. Ich habe ihn aufbewahrt. Ich dachte mir: Wer weiß, wofür man so etwas nochmal brauchen wird. Doch ich muss gestehen: Ich habe versagt. Denn wir wissen alle, wie diese Geschichte ausgegangen ist. Ich muss nicht wiederholen, wie weit er sich von seinen selbst gesteckten Zielen entfernt hat.
Natürlich ändern sich die Gegebenheiten, und auch Menschen ändern sich. Wenn sie im Lauf der Zeit klüger werden, und aus diesem Grund von alten Vorhaben absehen, ist das ja absolut zu begrüßen. Nicht aber, wenn es zum Nachteil der Stadt geschieht. Dann sind wir gefordert!
Selbstverständlich kann kein Mensch allzu weit in die Zukunft blicken, und nie ständig vorausahnen, was da noch so kommt. Aber manche Versprechen, die im Lauf eines Wahlkampfs gegeben werden, sind, sagen wir mal, etwas unüberlegt, wenn nicht sogar naiv. Wir wollen ja nicht wirklich davon ausgehen, dass sie tatsächlich von vornherein als Lüge gedacht waren. Allenfalls, dass dem Kandidaten vielleicht die Gäule durchgegangen sind, weil er doch gar so sehr um unsere Stimme geworben hat. Und vielleicht sogar dachte, er könne auch das Unmögliche schaffen.
Wir, die wir alt genug sind, um das Stimmrecht auszuüben, haben bereits die Erfahrung gemacht, dass kein Mensch alles kann und alles weiß. Auch ein OB ist davon nicht ausgenommen. Und daher ist es unsere Aufgabe als Souverän, ihn wieder auf den rechten Weg zurückzubringen, wenn er von seinen einstmals redlichen Absichten abzukommen droht.
Ja: wir! Jede einzelne, jeder einzelne von uns. Wir leben in einer Demokratie. Wir schätzen es, in einer Demokratie zu leben. Aber dazu gehört eben nicht nur, deren Annehmlichkeiten zu genießen, sondern da gibt es auch Pflichten. Wir sind der Souverän. Wir bezahlen das Gehalt des OB mit unseren Steuern. Er steht in unseren Diensten. Deshalb haben wir auch eine moralische Aufsichts- und Fürsorgepflicht.
Also: Wir bewahren die Wahlprospekte gut auf. Sie werden uns von großem Nutzen sein, falls wir das künftige Stadtoberhaupt darauf hinweisen müssen, dass er sich bitte mehr an seine einstmaligen Versprechen halten soll. Und das nicht erst, wenn es zu spät ist, und der laxe Umgang damit schon zu sehr eingerissen ist. Sondern vom ersten Tag an. Immer gleich auf der Matte stehen. Damit der Kurs eingehalten wird.
Ich bin überzeugt: Er wird uns dafür dankbar sein. So dankbar wie für jede einzelne Stimme, die er von uns bekommen hat.