
Interview
Momentan erhitzen sich in Schorndorf die Gemüter über unterschiedliche Einstellungen zu den politischen Maßnahmen, die die Regierung den Menschen auferlegt. Bernd Hornikel, unser gewählter neuer OB, erklärte unlängst, er halte es diesbezüglich mit Ex-Bundespräsident Johannes Rau und dessen Motto „Versöhnen statt spalten“. Doch wie lässt sich dies in der Praxis bewerkstelligen? Wir haben die Vertreter der hiesigen Kirchen gefragt, die sich mit dem Thema Nächstenliebe und Vergebung („Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern) am besten auskennen: Wie geht Versöhnung?
Heute: Pfarrer Wolfgang Kessler, katholische Kirche
„‚Wir werden einander viel zu verzeihen haben.‘ Dieser bekannte Satz macht deutlich, dass wir auf Vergebung angewiesen sind. Auch erfahren wir im Alltag, dass wir in Begegnungen und menschlichen Beziehungen manches ’schuldig‘ bleiben. Es kommt dabei auf die Perspektive an: Sehe ich mich im Recht oder stehe ich zu meiner Schuld?
Liegt die ‚Schuld‘ bei einem selbst oder wird sie beim anderen gesehen? Es ist immer einfacher, einen ‚Sündenbock‘ zu haben und andere verantwortlich zu machen, als vor der eigenen Tür zu kehren und sich selbstkritisch in Blick zu nehmen.
Versöhnung setzt die innere Bereitschaft voraus, zunächst auf den anderen zu hören, um das Verhalten des anderen zu verstehen. Es braucht außerdem eine Atmosphäre des Vertrauens, damit Versöhnung gelingen kann. Ein Neuanfang setzt Selbsterkenntnis und Reue voraus, d.h. das ehrliche, glaubwürdige Bekennen und Bereuen eines Fehlverhaltens.
Es ist nicht einfach, eine Entschuldigung zu akzeptieren und anderen zu vergeben, wenn man durch das Verhalten anderer enttäuscht wurde und kein Vertrauen mehr besteht. Wenn durch Worte und Handlungen die persönliche Ebene getroffen und verletzt wird, geht dies sehr tief.
Bei einem ‚fairen‘ Streit ist immer die Würde jedes Menschen zu achten und der Respekt gegenüber der anderen Person erforderlich. Für einen gelingenden Dialog sind Anstand und Argument eine notwendige Voraussetzung. Diffamierende und verunglimpfende Äußerungen führen nicht weiter und Hass und Hetze führen zu Aggressionen.
Für ein gesellschaftliches Zusammenwirken sind Regelungen erforderlich, die das Miteinander in verantwortlicher Weise gestalten. Es ist gegenwärtig die Herausforderung, in Diskussionen über ‚Maßnahmen‘ auf sachlicher Ebene zu bleiben und trotz unterschiedlicher Positionen die anderen Personen zu respektieren, gerade dann wenn Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Respekt und Menschenwürde sowie der Schutz des Lebens sind elementare Grundpfeiler einer Gesellschaft. Problematisch wird es, wenn egoistisches Verhalten ohne Rücksicht auf andere erfolgt. Es braucht ein solidarisches Miteinander, bei dem die Schwachen durch die Stärkeren geschützt werden.“
Anmerkung
Unsere Fragen lauteten: 1. Warum tun wir uns alle so schwer, unseren „Schuldigern“ zu vergeben? 2. Warum suchen wir überhaupt die Schuld bei anderen? 3. Wie gelingt Vergebung und Versöhnung ganz konkret? 4. Welche positiven Erfahrungen haben Sie damit gemacht? 5. Was können Ihrer Kenntnis nach aktuell die Maßnahmenbefürworter den KritikerInnen nicht verzeihen? 6. Was verzeihen – umgekehrt – Kritiker den BefürworterInnen nicht? 7. Wie bauen Sie jetzt in der Praxis Brücken?