Vertrauen in die Justiz sinkt

Kom­men­tar«
Je­des Kind lernt in der Schule, dass in un­se­rem Land Ge­wal­ten­tei­lung herrscht, dass wir eine un­ab­hän­gige Jus­tiz ha­ben – in der Theo­rie. In der Pra­xis je­doch ent­schei­den Stadt- und Kreis­räte, wer zum Schöf­fen ge­wählt wird. Bei der Er­nen­nung haupt­amt­li­cher Rich­ter spie­len eben­falls Par­tei­mit­glie­der, näm­lich Mi­nis­ter und Ab­ge­ord­nete des Land­tags, eine Rolle. Das birgt stets die Ge­fahr, dass nicht der Fä­higste, son­dern der Li­ni­en­treu­este er­nannt wird.

Wäh­rend auch in der Schweiz das Er­rei­chen der höchs­ten Rich­ter-Äm­ter an den Be­sitz ei­nes Par­tei­buchs ge­knüpft ist, hal­ten sich Frank­reich, Spa­nien, Ita­lien, Nor­we­gen, Dä­ne­mark und die Nie­der­lande an die Emp­feh­lung des Eu­ro­pa­rats, die Aus­wahl der Rich­ter von der Exe­ku­tive un­ab­hän­gig durch­zu­füh­ren.

Dass das Ver­trauen der Be­völ­ke­rung in die Jus­tiz in­ner­halb von fünf Jah­ren um 15 Pro­zent­punkte ge­fal­len ist, liegt je­doch ver­mut­lich nicht vor­ran­gig an die­ser „Par­tei­pa­tro­nage“, die ein ehe­ma­lige Bun­des­ver­fas­sungs­rich­ter, Ernst Wolf­gang Bö­cken­förde, im Üb­ri­gen als un­halt­bar an­sieht. Be­kann­tes­tes Bei­spiel: Kanz­le­rin Mer­kel traf sich im Som­mer 2021 samt ih­rer Mi­nis­ter­riege mit den 16 Rich­te­rIn­nen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zum Ar­beits­es­sen. Un­sere Grund­rechte ha­ben diese wäh­rend der Pan­de­mie nicht ge­schützt.

In ers­ter Li­nie hat die­ser Ver­trau­ens­ver­lust in un­ser Jus­tiz­we­sen wohl eher mit per­sön­li­chen Er­fah­run­gen zu tun, die sich in Volks­weis­hei­ten nie­der­schla­gen, wie: „Recht ha­ben und Recht be­kom­men sind zwei­er­lei“, oder: „Vor Ge­richt und auf ho­her See ist man in Got­tes Hand“. Tat­säch­lich bie­ten mitt­ler­weile Rich­te­rIn­nen we­gen per­so­nel­ler Über­las­tung be­vor­zugt Ver­glei­che an, weil das Schrei­ben ei­nes Ur­teils zu viel Zeit be­an­sprucht.

Sol­che Er­leb­nisse sind un­be­frie­di­gend. Wirk­lich ka­ta­stro­phal aber ist es, wenn der Ein­druck ent­steht, die Jus­tiz lasse sich tat­säch­lich von der Po­li­tik in­stru­men­ta­li­sie­ren. So wie jetzt etwa in Er­furt, wo das Land­ge­richt (mit Schöf­fen) ei­nen Fa­mi­li­en­rich­ter aus Wei­mar zu zwei Jah­ren Haft auf Be­wäh­rung ver­ur­teilt hat, nach­dem er ge­gen die von der Re­gie­rung er­las­se­nen Co­rona-Maß­nah­men ent­schied. Der Vor­wurf lau­tete: Rechts­beu­gung, weil er da­für an­geb­lich ex­tra nach Fäl­len ge­sucht habe. Er hin­ge­gen sagt, ihm sei es ein­zig um das Kin­des­wohl ge­gan­gen.

Kon­kret setzte die­ser Chris­tian Dett­mar vor zwei Jah­ren die Pflicht zum Tra­gen von Mas­ken an Schu­len au­ßer Kraft. Als dar­auf­hin eine Haus­durch­su­chung bei ihm vor­ge­nom­men wurde, leg­ten am 1. Mai 2021 auch in Schorn­dorf Bür­ge­rIn­nen vor dem hie­si­gen Amts­ge­richt weiße Ro­sen ab – aus Sorge um die Un­ab­hän­gig­keit der Recht­spre­chung in un­se­rem Land. Sie be­tei­lig­ten sich da­mit an ei­ner deutsch­land­wei­ten Ak­tion.

Dett­mar stützte sein da­ma­li­ges Ur­teil auf wis­sen­schaft­li­che Gut­ach­ten, nach de­nen sol­che Mas­ken nicht vor Vi­ren schütz­ten, son­dern bei über­mä­ßi­gem Ge­brauch so­gar ge­sund­heits­schäd­lich seien. Laut Ar­beits­schutz­ver­ord­nung soll nach 75 Mi­nu­ten Maske-Tra­gen eine Pause von 30 Mi­nu­ten freien At­mens fol­gen.

Chris­tian Dett­mar tat, was er laut Ver­fas­sung tun soll: Un­ab­hän­gig von der Re­gie­rung sein Ur­teil fäl­len. Rechts­beu­gung wird ihm jetzt von ei­nem Kol­le­gen und Schöf­fen be­schei­nigt, die – wie er selbst auch – durch Po­li­ti­ker in ihre Äm­ter ge­langt sind. Rechts­an­walt Chris­tian Mo­ser meint, dass diese die „be­son­dere Schwere“ in Dett­mars Tuns of­fen­bar darin sä­hen, dass er „es ge­wagt hat, sich ge­gen eine Vor­gabe der Re­gie­rung zu wen­den“.

Um sich den Co­rona-Maß­nah­men ent­ge­gen­zu­stel­len, so meint Mo­ser, ge­höre je­doch we­ni­ger ein Vor­satz zur Rechts­beu­gung als viel­mehr Mut.

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