Neujahrsgruß
Das mit den guten Vorsätzen fürs Neue Jahr ist nicht jedermanns Sache. Ich kenne zum Beispiel mehr Leute, die das Rauchen nicht zum 1. Januar, sondern an einem ganz anderen Tag aufgegeben haben. Veränderungen müssen nicht unbedingt an ein Datum geknüpft sein. Das ist richtig. Gleichzeitig schadet es nicht, ab und zu mal innezuhalten, und sich fragen: „Wo stehe ich grad jetzt? Wo wollte ich eigentlich hin?“ Das kann ganz nützlich sein, um sich wieder auf Kurs zu bringen, oder auch, um aus dem alten Trott auszubrechen.
Daher mein Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir das Neue Jahr mit mehr Souveränität angehen? Wenn wir bei Meinungsverschiedenheiten nicht gleich in den Kampf- oder Verteidigungsmodus fallen, sondern erst einmal abwarten. Den anderen in Ruhe anhören. Ausreden lassen. Vielleicht stellt sich dabei ein gemeinsamer Nenner ein. Oder aber, falls das nicht gelingt, dass wir wenigstens versuchen, die ganze Angelegenheit mit mehr Humor zu sehen, und/oder uns fragen, was man durch eine solche Begegnung vielleicht lernen darf.
Zum anderen geht es um die Souveränität im politischen Sinne: Sich tagtäglich bewusst machen, dass in unserer Gesellschaftsordnung wir „der Souverän“ sind. Dass wir uns dementsprechend verantwortlich für das Gesamte fühlen, wie ein König, wie eine Königin für ihr Reich. Dass wir selbstverständlich freundlich mit unseren Angestellten in der Regierung, in der Schule, bei der Polizei, im Rathaus umgehen, und nie vergessen, dass wir es sind, die deren Monatsgehälter zahlen.
Dazu gehört freilich auch, dass wir von ihnen nicht mehr erwarten, als sie zu leisten imstande sind. Dazu gehört ebenso, dass wir nicht warten, dass andere sich einsetzen für etwas, das wir uns wünschen, sondern selbst aktiv werden. Unter Umständen sogar diejenigen sind, die den Anfang dazu machen. Wenn jede vor ihrer Haustür fegt, erscheint das nicht viel, aber am Ende ist die ganze Stadt sauber. Jeder eigene Beitrag, mag er auch noch so klein sein, ist unverzichtbarer Teil eines Ganzen. Eine Ameise setzt sich nicht hin und sagt: „Aber ich kann doch gar keinen so großen Hügel bauen.“ Sie tut es einfach. Zusammen mit anderen. Und das Ergebnis ist beeindruckend. Von diesen Tierchen können wir viel lernen.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der dafür spricht, selbst aktiv zu werden, statt auf andere zu warten. Irgendwo habe ich nämlich mal gelesen: „Du bist immer der Gefangene deines Befreiers.“ – Da ist was dran. Von der Nazi-Herrschaft wurde Deutschland durch die Alliierten befreit. Unsere Nachkriegsdemokratie ist wie ein Geschenk von einer Tante aus Übersee. Ja, man freut sich drüber. Ungleich größer ist die Freude jedoch über etwas, das wir mit unseren eigenen Händen selbst geschaffen haben. Vielleicht ist das Jahr 2022 genau dafür ausersehen, dass wir diesen Schritt zur Selbstbestimmung endlich machen. Statt nur zu kritisieren, zu motzen, zu klagen. Nicht von anderen verlangen. Sondern selber machen. Einfach anfangen.
„Sei du die Veränderung, die du dir wünschst“ von Mahatma Gandhi bringt es perfekt auf den Punkt – ein schönes Motto für das Jahr 2022.