Zu Silvester 1919 haben Schriftleitung und Verlag des „Schorndorfer Anzeigers“ folgenden Neujahrsgruß entboten:
„Dunkler als zu irgend einer Zeit liegt diesmal das neue Jahr vor uns und bangenden Herzens und sorgenvollen Blickes schauen wir der Zukunft entgegen. Ist draußen auch des Krieges wilde Flamme erloschen, so glimmt doch die haßerfüllte Rachgier der Gegner noch unter der Asche fort, bereit, auf den leisesten Windhauch wieder emporzulodern.
Wohl wird von allen Seiten das Tagen eines neuen deutschen Morgens, eines Morgens der ‚Freiheit‘ und des ‚Rechts‘ angekündigt, doch scheint seine Dämmerung zur Vorsicht zu mahnen und eine allzu rosige Erscheinung nicht anzudeuten.
Wir haben deshalb allen Grund, uns nicht in allerlei fantasiereichen Zukunftsträumen zu wiegen, sondern offenen Auges die gesamten Verhältnisse zu erfassen und uns der ganzen Schwere der Verantwortung vor Gott, der Nachwelt und der Geschichte bewußt zu werden. Das gilt in gleicher Weise für alle Parteien von der äußersten Linken, bis zur äußersten Rechten, damit, wenn einst die Wogen der Leidenschaft, die jetzt noch unser armes Land überfluten, sich gelegt haben, wir uns unserer heutigen Handlung nicht zu schämen brauchen.
Laßt uns in allen Stücken die Konsequenzen bedenken. Kein rechter deutscher Mann kann nur Augenblickspolitik treiben, gleichgültig ob Sozialdemokrat, oder Konservativer.
In diesem Sinne wollen wir in das neue Jahr hineinschreiten, mit heiligem Ernste, aber unverzagt, gewiß, daß, wem der Herrgott große Aufgaben stellt, dem gibt er auch die nötige Kraft, sie zu bewältigen.
So entbieten wir, uns einig wissend mit unseren Lesern, allen unsre aufrichtigsten Wünsche für ein gutes neues Jahr, das uns endlich bescheren möchte den heißersehnten Frieden und mit ihm ein neues Aufblühen ersprießlicher Arbeit für alle Kreise in Stadt und Land, in Werkstatt, Fabrik und Büro, in Kirche, Schule und Haus.“