Melanie Grawe – eine Wegbereiterin

Nach­ruf«
Als Me­la­nie Grawe im Jahr 1980 aus dem Stand auf den 3. Platz der SPD-Frak­tion in den Schorn­dor­fer Ge­mein­de­rat ge­wählt wurde, hielt man(n) Frauen meist noch für zu blöde, ein sol­ches Amt aus­zu­üben.

Noch vier Jahre zu­vor hatte sich nicht nur Karl-Heinz Köp­cke da­ge­gen ver­wehrt, dass eine Frau auch nur die „Tagesschau“-Nachrichten ver­liest. Weil diese Spe­zies an­geb­lich nichts von Po­li­tik ver­stünde, von Sport schon gar nichts, und bei Un­glü­cken in Trä­nen aus­bre­che.

Da­her hatte auch ein Rund­funk-In­ten­dant na­mens Wal­ter Steig­ner ver­kün­det: „Wenn Frauen schließ­lich doch in öf­fent­li­che Äm­ter be­ru­fen  wer­den,  ge­schieht  das  mehr  aus  Höf­lich­keit,  die  dem  weib­li­chen  Ge­schlecht  von  den  Män­nern  aus  un­er­find­li­chen Grün­den ent­ge­gen­ge­bracht wird.“

Sei­ner An­sicht nach kä­men sie „dann auch für wich­tige Po­si­tio­nen nicht in Be­tracht“. Viel­mehr wür­den man ih­nen „für­sor­gende  Funk­tio­nen  über­las­sen  wie  das  Ju­gend­res­sort“,  bei  dem „oh­ne­hin  nichts  mehr  zu  ver­der­ben ist.“

Erst fünf Jahre vor be­sag­ter Ge­mein­de­rats­wahl war Me­la­nie Grawe, ge­bür­tig in Ber­lin und von Be­ruf Leh­re­rin, mit Mann und drei Söh­nen nach Schorn­dorf über­ge­sie­delt.

Die­ses Jahr 1975 hat­ten die Ver­ein­ten Na­tio­nen zum „In­ter­na­tio­na­len Jahr der Frau“ aus­ge­ru­fen, mit dem Ziel, dass Frauen die ge­sell­schaft­li­che Ent­wick­lung stär­ker selbst ak­tiv be­wir­ken.

Kom­mu­nal­po­li­tik wurde da­mals in Schorn­dorf wie über­all be­trie­ben: Die Her­ren Stadt­räte de­bat­tier­ten im Sit­zungs­saal des Rat­hau­ses über die Ge­schi­cke der Stadt – um­ne­belt von Zi­ga­ret­ten-Qualm. Auch sprach man(n) dem dort aus­ge­schenk­ten Wein gern und gut zu, was sich im Lauf des Abends in Dis­kus­si­ons­freude und ‑qua­li­tät nie­der­schlug.

Un­ter an­de­rem ent­stand da­bei der Traum vom Bau ei­ner neuen Stadt­halle, die im Lauf der Jahre im­mer phan­tas­ti­scher Di­men­sio­nen an­nahm, so dass sie schließ­lich 55 Mil­lio­nen Mark kos­ten sollte.

Rosa Kamm und ihre Toch­ter Ur­sel, die seit Kriegs­ende je­weils ab­wech­selnd als ein­zige Frau im Ge­mein­de­rat ver­tre­ten wa­ren, konn­ten nicht ver­hin­dern, dass das Pro­jekt im De­sas­ter en­dete, bei dem schließ­lich über 5 Mil­lio­nen Mark in ei­nem „Statt-Hal­len-See“ ver­senkt wor­den wa­ren.

Des­glei­chen woll­ten die Stadt­räte anno 1977 das Zie­ge­lei­see-Bad zu ei­nem hoch­mo­der­nen Wel­len­bad um­funk­tio­nie­ren. Was rund 6 Mil­lio­nen Mark an Steu­er­gel­dern ver­schlin­gen sollte.

Und da­mit be­gann Me­la­nie Gra­wes lo­kal­po­li­ti­sche Kar­riere.

Sie emp­fand es als „un­ge­heu­er­lich“, dass die Bür­ger­schaft über die­ses kost­spie­lige Pres­tige-Pro­jekt nur durch eine Pres­se­mit­tei­lung in­for­miert wer­den sollte.

Alle Fo­tos © pri­vat

Da­her or­ga­ni­sierte sie zu­sam­men mit Gleich­ge­sinn­ten Info-Stände, sam­melte knapp 4.000 Un­ter­schrif­ten ge­gen das Vor­ha­ben und schrieb Le­se­briefe. Mit Er­folg: Das Pro­jekt wurde ab­ge­bla­sen.

Da­mals trat Me­la­nie Grawe in die SPD ein. Und drei Jahre spä­ter kan­di­dierte sie bei den Ge­mein­de­rats­wah­len. Die­ses Gre­mium war nach der Ein­ge­mein­dung der 7 um­lie­gen­den Dör­fer von 32 auf 50 Mit­glie­der an­ge­wach­sen.

Die Rolle des Platz­hir­sches hatte dort Wer­ner Lempp als Vor­sit­zen­der der größ­ten, näm­lich der CDU-Frak­tion inne. Zu dem No­vum, nun auf ei­nen Schlag 7 Kol­le­gin­nen zu be­kom­men, äu­ßerte er Me­la­nie Grawe ge­gen­über, er freue sich über den „schö­nen An­blick“, der durch diese „Da­men“ fortan ihm und sei­nes­glei­chen in den Sit­zun­gen ge­bo­ten werde.

Ih­ren ei­ge­nen Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den, den alt­ge­dien­ten Karl Wahl, hin­ge­gen über­raschte Me­la­nie Grawe da­mit, dass sie ihm gleich ein Zehn-Punkte-Pa­pier für die künf­tige Ar­beit für die SPD im Ge­mein­de­rat vor­legte.

Zu­sam­men mit ihr wurde An­ge­lika Sziel Stadt­rä­tin für die SPD. Au­ßer­dem wa­ren für die CDU Ma­ria Lak­ner, Agi Schil­ling, Sa­bine Rapp und Han­ne­lore Wurst so­wie für die Grü­nen Ur­sel Oboth in das Gre­mium ge­wählt wor­den.

Me­la­nie Grawe war 28 Jahre lang Stadt­rä­tin. Ihr Frak­ti­ons­kol­lege Mar­tin Thomä be­kannte rück­bli­ckend, es sei für ihn im­mer ein be­ru­hi­gen­des Ge­fühl ge­we­sen, dass zu­min­dest sie stets bes­tens vor­be­rei­tet in die Sit­zun­gen kam.

Auch Karl-Otto Völ­ker lobte ih­ren Sach­ver­stand. Und Pe­ter Erd­mann (FDP/​FW) be­fand,  dass sie „im­mer ei­nen Stand­punkt hatte, an dem man sich, je nach­dem, rei­ben oder ihn un­ter­stüt­zen konnte“.

Von ih­ren Kol­le­gIn­nen wurde sie 2009 mit ste­hen­den Ova­tio­nen aus ih­rem Amt ver­ab­schie­det.

Eine der hef­tigs­ten Dis­kus­sio­nen im Ge­mein­de­rat hatte Me­la­nie Grawe im Jahr 2000 beim Thema „Frau­en­be­auf­tragte“ er­lebt. Ober­bür­ger­meis­ter Win­fried Kü­b­ler wollte, nach­dem er die Neu­aus­schrei­bung der Stelle erst ver­zö­gert hatte, der künf­ti­gen Frau in die­sem Amt ver­bie­ten, Öf­fent­lich­keits­ar­beit ohne seine ex­pli­zite Zu­stim­mung zu be­trei­ben.

Er be­fürch­tete, wie er an­gab, dass sie „alle zwei Wo­chen eine Ver­laut­ba­rung nach au­ßen gibt, die wir wie­der rich­tig stel­len müs­sen“. Das sa­hen frei­lich auch männ­li­che Kol­le­gen von Me­la­nie Grawe als Zen­sur und Maul­korb­er­lass.

Nach ei­ner lan­gen, emo­tio­na­len Dis­kus­sion er­klärte schließ­lich der CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zende Lempp: „Wenn Sie wei­ter­hin so ein Ge­döns ma­chen, dann ich krieg‘ ich noch Lust, dass wir die Frau­en­be­auf­tragte ganz ab­schaf­fen.“

Me­la­nie Grawe ge­hört ei­ner Ge­ne­ra­tion von Frauen an, die sich vor­wie­gend als „Hel­fe­rin­nen ih­rer Män­ner bei de­ren Kar­riere“ be­trach­tet hat­ten und sich selbst da­hin­ter zu­rück­stell­ten, wie sie in ih­rer Lau­da­tio auf die Kün­ke­lin-Preis­trä­ge­rin An­drea Laux im Jahr 2000 er­klärte.

Des­halb müss­ten sie bei ih­rem En­ga­ge­ment im öf­fent­li­chen Le­ben „al­les neu aus­pro­bie­ren“ und könn­ten nur we­nig auf Vor­bil­der und de­ren Er­fah­run­gen zu­rück­grei­fen.

Trotz al­ler Wid­rig­kei­ten, trotz vie­ler Mü­hen und Ent­täu­schun­gen sah sie, wie sie oft sagte, die Chance, mit ih­rem Ein­satz die Ver­bes­se­rung der ge­sell­schaft­li­chen Si­tua­tion von Frauen zu be­wir­ken, als gro­ßes Glück an.

So wurde Me­la­nie Grawe zu ei­ner we­sent­li­chen Weg­be­rei­te­rin in Schorn­dorf.

Sie starb am 11. Ja­nuar. Im Mai wäre sie 90 Jahre alt ge­wor­den. Die Trau­er­feier ist am Frei­tag, 7. März, 11 Uhr auf dem Neuen Fried­hof.

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