Interview«
Seit 25. März ist der Schorndorfer AfD-Stadtrat Lars Haise inzwischen Mitglied des Bundestags (MdB). Wir wollten wissen, wie er seine ersten 100 Tage als Abgeordneter erlebt hat.
Womit haben Sie überhaupt gar nicht gerechnet?
Wie doch recht offen die Kumpanei zwischen Bundesregierung und den beiden angeblichen Oppositionsparteien (Grüne und Linke) gelebt wird.
Was hat Sie am Betrieb im politischen Berlin am meisten erstaunt/erschüttert?
Erschüttert, wenngleich nicht erstaunt, hat mich die Ignoranz und in Teilen geradezu Niedertracht, wie die anderen Parteien auf uns von der AfD reagieren. Insbesondere das Verhalten der SPD kann man kaum anders als bösartig bezeichnen, wenn man beispielsweise an die Sache um den Fraktions-Sitzungssaal denkt.
Worum ging es da?
Die SPD wollte ihren angestammten Sitzungssaal behalten, obwohl sich ihre Fraktion von 206 auf 120 Mitglieder fast halbiert hat. Dafür hat man der AfD den Saal der FDP zugewiesen, in dem diese zuvor mit ihren 91 Abgeordneten tagte. Da sitzen wir aber mit unseren 151 Mitgliedern wie die Sardinen in der Büchse.
Sie haben zusätzlich das Amt eines Schriftführers übernommen. Warum?
Ich dachte mir: Von da oben hat man nochmal einen ganz anderen Blick in den Saal. Und man lernt die Präsidentin samt Vertretung und die Parlamentsassistenten der Verwaltung besser kennen. Außerdem kann ich sie beispielsweise auch auf Fehlverhalten von Abgeordneten hinweisen, etwa wenn jemand von den Grünen ein Antifa-T-Shirt trägt oder ein Linker mal wieder im Jogginganzug im Plenum sitzt. Denn sowas ist verboten.
Erstaunlich, dass es niemanden stört, wenn Sie als AfD-ler im Präsidium sitzen, während man einen Vizepräsidenten aus Ihrer Fraktion ablehnt.
Wenn es um solche „Fleißarbeiten“ geht, nimmt man uns gern. Ich muss beispielsweise bei Abstimmungen auszählen und mitkontrollieren, dass jeder seine Redezeit einhält.
Was passiert, wenn er es nicht tut?
Dann wird die Zeit, die jemand überzogen hat, beim nächsten Redner seiner Fraktion abgezogen. Die meisten Redner halten sich aber an ihre Redezeiten.
Abgeordneter zu sein, lernt man nicht in der Schule. War das für Sie also ein Sprung ins kalte Wasser?
Eher nicht. Wenn man aus dem Schorndorfer Gemeinderat kommt, in dem es auch sehr häufig ganz hoch-politisch hergeht, ist man schon recht abgehärtet. Ich kenne die Abläufe auch aus meiner Arbeit aus dem Landtag von Baden-Württemberg, weiß, wie man Anträge stellt. Ich kenne das Geschäft mit der Öffentlichkeit und habe bereits für meinen Abgeordneten im Landtag die Reden mitgeschrieben.
Apropos Rede: Haben Sie Ihre eigene Jungfernrede schon im Hohen Haus gehalten?
Ja, vorigen Donnerstag. Dort durfte ich gleich dreimal reden.
Was war das Thema Ihrer Jungfernrede?
Das Änderungsgesetz zum Telekommunikationsgesetz. Interessanter war allerdings meine zweite Rede am gleichen Tag, als es um die Familienfreundlichkeit der Deutschen Bahn ging. Anlass war die Streichung der kostenlosen Sitzplatzreservierung für Familien.
Und was haben Sie da gesagt?
Ich habe von meinen Erfahrungen als Lokführer berichtet: Wie ich einmal spätnachts in einer S‑Bahn vom Flughafen nach Backnang Krawall aus dem Fahrgastbereich hörte. Wie sich da ein paar Menschen in nicht-deutscher Sprache angeschrien und mit abgebrochenen Flaschenhälsen bedroht haben. Und mittendrin: Familien, die gerade vom Urlaub kamen.
Kann man diese Rede irgendwo nachlesen?
Alle Sitzungen werden live vom „Parlamentsfernsehen“ übertragen. Meine letzten Reden findet man auf meinem Abgeordneten-Profil des Deutschen Bundestages. Meine drei Reden hielt ich in der 14. Sitzung, am 26. Juni, unter Tagesordnungspunkt 17, ZP 12 und TOP 28.
Was war ein besonders amüsantes Erlebnis in Ihren ersten 100 Tagen in Berlin?
Das mir zugewiesene Abgeordneten-Büro hatte bislang eine Grünen-Abgeordneten genutzt. Da hingen noch die Plakate der Seenotrettung und es sah ziemlich verratzt aus. Ein neuer Teppichboden musste verlegt, und beschädigtes Inventar erneuert werden.
Ist Ihr Büro auch durch einen dieser unterirdischen Gänge mit dem Reichstagsgebäude verbunden?
Nein. Ich muss also durch Regen und Wind zu den Sitzungen gehen. Aber ich genieße das auch: Entlang der Spree an der frischen Luft sein, die Menschen beobachten und somit noch Kontakt zur Außenwelt zu behalten.