Kommentar
„’s ist leider Krieg – und ich begehre, Nicht schuld daran zu sein!“, so endet Matthias Claudius‘ Gedicht, das Uwe Glund am Freitagabend bei der Friedensdemo auf dem Marktplatz vorlas. Da fragt man sich freilich spontan: Wieso sollte eigentlich ich schuld sein? Was habe ich denn mit einem Krieg in der Ukraine zu schaffen?
Zu Kriegen rufen Generäle und Politiker auf. Meistens aus Gründen, die mit dem Wohl des Volkes wenig zu tun haben. Also muss dieses davon überzeugt werden, dass ein Vernichtungskampf unvermeidlich ist. Zum Beispiel, indem Frankreich einstmals zu unserem „Erzfeind“ erklärt wurde, oder weil wir angeblich „Lebensraum im Osten“ brauchten. Anders gesagt: Jeder Krieg beginnt mit einer Lüge. Im Volk müssen Emotionen geschürt werden, damit es schließlich lauthals „Ja!“ schreit, wenn einer fragt: „Wollt ihr den totalen Krieg?“
Hier gilt es wachsam zu sein, und sich nicht für Interessen anderer instrumentalisieren zu lassen. Denn kein Mensch will von Natur aus Krieg. Krieg bringt nur Elend und Leid. Doch Wunschdenken allein hilft nicht. Man muss auch was dafür tun.
Da war zum Beispiel schon länger ein Treffen geplant zwischen Vertretern unseres Rems-Murr-Kreises mit denen aus dem Partnerkreis Dmitrow, das 80 Kilometer nordöstlich von Moskau liegt. Seit 1991 besteht diese Partnerschaft. Dass die russischen Partner ihre Zusage zur schwäbischen Einladung für diesen Sommer jetzt laut Lokalzeitung „ausgerechnet am 24. Februar, dem Tag, als Russland in die Ukraine einmarschierte“, schickten, habe unseren Landrat Richard Sigel empört. Ja, er habe sich sogar durch diese Nachricht provoziert gefühlt.
Das klingt sehr irritierend. Sind die Menschen in Dmitrow auf einmal nicht mehr unsere Partner? Und wenn ja: Warum? Vor allem: Wurde die Kreispartnerschaft nicht gerade deshalb gegründet, um die Völkerverständigung zu fördern? Damit alte Feindbilder durch lebendige Kontakte mit Menschen der anderen Nation entkräftet werden?
Was wirft Sigel seinem Amtskollegen denn vor? Dass er Putin nicht von seinen Plänen abgehalten hat? Das wäre sicherlich vermessen, denn sich selbst sieht Richard Sigel als „kleinen Landrat“, der wenig ausrichten kann. Seinem Amtskollegen Ponochevnyy wird er also das Gleiche zugestehen.
Wir alle müssen jetzt höllisch aufpassen, dass wir uns nicht zu Erfüllungsgehilfen für die Interessen anderer machen. Sarah Wagenknecht hat in ihrer jüngsten Wochenschau aufgezeigt, wie schnell man uns emotional manipulieren kann. Sie erinnerte an die Nachricht von Neugeborenen, die aus ihren Brutkästen gerissen worden seien, um uns gegen Syrien aufzubringen. Auch gab es Behauptungen, dass der Afghanistankrieg nötig sei, um unterdrückte Frauen zu befreien. Alles Lüge!
Standhaft bleiben gegenüber solchen Manipulationen, ist nicht einfach. Es wäre vielleicht ein Anfang, wenn man die Bewohner von Dmitrow als Menschen sieht, mit denen wir keinen Krieg wollen. Dass wir in ihre ausgestreckte Hand einschlagen, statt sie brüsk zurückweisen, nur weil irgendjemand uns einreden will, sie wären unsere Feinde.
Wenn wir tatsächlich begehren, nicht schuld an einem Krieg zu sein, bedeutet das harte Arbeit. Nämlich, dass wir Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüfen. Das ist oft schwierig. Dabei hilft aber, wenn man sich nur fragt: „Wer sagt das?“ Und: „Welche Interessen verfolgt er damit?“ Ein großer Nebeneffekt dieser Arbeit ist: Angstmache verfängt dann nicht so schnell bei uns. Vor allem aber wird man sich später noch ins Gesicht schauen können. Weil man sich nicht in ein womöglich schuldhaftes Verhalten drängen ließ.
Das erfordert freilich im Alltag Mut. Es ist ein guter Anfang, bei einer Mahnwache ein Schild mit „Frieden“ hochzuhalten. Doch es braucht noch mehr. Nämlich die innere Stärke, auch dann für das Ideal „Frieden“ einzustehen, wenn um einen herum alle in das gleiche Kriegshorn blasen.
Hier ein Vorschlag an den Herrn Landrat, was er den Partnern in Dmitrow und den hiesigen Medien sagen könnte: „Gerade in Zeiten, in denen die nationalpolitischen Beziehungen von Spannungen geprägt sind, ist es umso wichtiger, dass wir auf der kommunalen Ebene die bilateralen Beziehungen pflegen.“ – Er müsste diesen Text nicht neu einstudieren. Denn der stammt aus seiner Rede zum 25-jährigen Bestehen dieser Partnerschaft vor sechs Jahren.