
Gedenktag
Heute vor 35 Jahren starb Dr. Ilse Beisswanger. Sie war die erste Richterin in Württemberg und stammte aus der Familie der hiesigen Löwenbrauerei.
Ihre Mutter Auguste, geb. Riehle, wurde in der Stadt „d‘ Schultesse“ genannt, weil sie den Schultheiß von Geradstetten, Heinrich Gottlob Beisswanger, geheiratet hatte. Vielleicht auch deshalb, weil ihr Mann sich im Jahr 1903 um das Amt des Stadtschultheiß hier in Schorndorf beworben hatte. Er bekam auch die Mehrheit der Stimmen, war aber der örtlichen Obrigkeit nicht genehm, so dass diese so lange wählen ließ, bis er schließlich seinem Mitbewerber Raible unterlag.
Möglicherweise war diese Erfahrung des Vaters der Grund für seine Tochter Ilse, Rechtswissenschaft zu studieren.
Ilse Beisswanger wurde am 11. Januar 1903 in Geradstetten geboren. Nach dem Tod des Vaters zog sie 1912 zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Schorndorf. Als sie später das Mädchengymnasium in Stuttgart besuchte, kam sie bei Verwandten unter. Sie studierte Rechtswissenschaften und promovierte.
Zum „ersten weiblichen Richter Württembergs“ berufen, begann sie ihre berufliche Laufbahn 1929 als stellvertretende Amtsrichterin in Stuttgart. Im Berliner Tageblatt vom 26. Januar 1929 wurde dieses historische Ereignis – allerdings mit einem schweren Schreibfehler des Namens – abgedruckt. Da ist unter der Überschrift „Ein weiblicher Richter in Württemberg“ und dem Hinweis „Telegramm unseres Korrespondenten“ zu lesen: „Das württembergische Justizministerium hat Dr. jur. Ilse Beissgänger zum stellvertretenden Amtsrichter beim Amtsgericht Stuttgart I berufen. Damit hat zum ersten Mal auch in Württemberg eine Frau die richterliche Laufbahn betreten.“
Bereits zwei Jahre später sah man sich jedoch veranlasst, ihr das staatliche Dienstverhältnis zu kündigen, mit der Begründung: „Solange ein Überangebot bester männlicher Kräfte vorhanden“ sei, sei es für Männer „psychologisch schwer zu tragen, sie durch Frauen zurückzusetzen.“ So arbeitete sie ab 1932 als Rechtsanwältin und zudem ab 1940 noch beim Jugendamt in der Fürsorge. Während der NS-Zeit vertrat Ilse Beisswanger auch ausgewanderte Juden bei Gericht, was ihr eine Vorladung der Gestapo und fast einen Rüstungseinsatz beschert hätte.
Seit 1877 war die „Löwen“-Gaststätte am Marktplatz mit angrenzender Brauerei im Besitz der Familie Riehle, Ilse Beisswangers Vorfahren mütterlicherseits. Die Produktionsstätte wurde 1893 in die Göppinger Straße verlegt, wo Auguste Beisswanger den Betrieb ab 1912 alleine führte, im Zweiten Weltkrieg zeitweise unterstützt durch Tochter Ilse als stellvertretende Betriebsleiterin. Nach dem Tod der Mutter führte Sohn Arthur 1948 das Unternehmen weiter, ab 1958 mit Hilfe seiner Ehefrau Irene.
Da nach Kriegsende ein akuter Richtermangel herrschte und Ilse Beisswanger politisch unbeanstandet war, konnte sie sofort als Amtsgerichtsrätin weiterarbeiten. Die Alliierte Militärregierung berief sie 1946 zur Spruchkammervorsitzenden, woraus sie sich aber vorzeitig wieder entpflichten ließ. Nach mehreren Beförderungen beging sie 1964 als Landgerichtsdirektorin ihr 40-jähriges Dienstjubiläum und beantragte kurz darauf ihre Versetzung in den Ruhestand. Sie verstarb 1985 und wurde anonym auf dem Waldfriedhof in Stuttgart bestattet. Ihre Schwägerin Ilse sorgte dafür, dass bei der Familiengrabstätte auf dem Alten Friedhof in Schorndorf an die Pionierin erinnert wird.
(Quelle: „Lauter Schorndorfer Weiber – Stadtrundgang der Frauengeschichts-Werkstatt Schorndorf“, kostenfrei erhältlich bei der Stadt-Info)