Glosse
Aus Erfahrung wissen wir: Sätze, die mit dem Wort „Niemand“ beginnen, sind gefährlich. Besonders, wenn sie von Politikern kommen. Da heißt es, wachsam sein. Da wird’s meistens hinterher sehr unangenehm. Oder teuer. Oder beides. Sie erinnern sich: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ – Walter Ulbricht 1961.
Für heute Abend, 17 Uhr, hat unser Oberbürgermeister die BewohnerInnen der Innenstadt per Brief eingeladen zu einer Video-Konferenz. Drei Stunden lang. Thema ist die „Erhöhung der Aufenthaltsqualität“ rund um den Archivplatz. Wörtlich schreibt er: „Niemand kann die Lage vor Ort aus eigener Erfahrung so gut einschätzen wie die Anwohnerinnen und Anwohner.“ Klingt gut. Fängt aber mit „Niemand“ an. Da ist also höchste Vorsicht geboten, siehe oben.
Gleich im nächsten Absatz des Briefes wird klar, wo der Haken an der Sache ist. Die Stadtverwaltung fragt nicht nur ihre kompetenten BürgerInnen, sondern hat noch zwei Planungsbüros mit im Boot. Der Archivplatz ist ja wirklich überschaubar in seiner Größe. Braucht es da wirklich Planer von außen? Und nicht nur ein Büro, sondern gleich zwei. Und nicht aus der Umgebung, sondern aus Berlin und München. Planer, die keine Ahnung von den hiesigen Verhältnissen haben. Man fragt sich schon, wer die ausgesucht hat. Meint er, Schorndorf dadurch zur Weltstadt zu machen? Solch provinzielles Denken wird den Planern nur ein leises Lächeln entlocken. Gleichwohl werden sie die Wünsche nach Großartigkeit mit hochtrabenden Theorien und wichtig klingenden Worten befriedigen.
Wie gut, dass es daher noch die kompetenten AnwohnerInnen gibt. Die werden den Herren Planern heute erst einmal Nachhilfe geben in Sachen „Schorndorf“. Ihnen erklären, warum die Stadt so lebenswert ist: wegen ihrer Eigenheiten, wegen ihrer gewachsenen Strukturen. Die origineller sind als Planungen, die man einfach überstülpt, so wie im Alten Friedhof zur Gartenschau: Stahlkanten an den Wegen und zwei rostige Brunnen, anstelle des seitherigen aus Mauersteinen.
Die Anregung aus der damaligen Bürgerbeteiligung, dass man doch besser einen Lageplan anbringt, um die Gräber historisch interessanter Personen zu finden, wurde ebenso hochnäsig ignoriert, wie der Wunsch, Informationstafeln an den Gräbern anzubringen bzw. die verwitterten Inschriften zu restaurieren. Nein, lieber wird mit Schnickschnack verschlimmbessern, weil es eben grad so Mode ist. Das Gleiche wird sich beim Thema Archivplatz abspielen.
Und jetzt wird’s richtig gut: bei den Kosten für all das. Die AnwohnerInnen erklären den Planern, was hier wichtig und nötig ist – und die stellen dann für 3 Stunden Zuhören der Stadt eine saftige Summe in Rechnung. Diese wird aus der Stadtkasse bezahlt. Nun ja: Eigentlich ja von just den AnwohnerInnen selbst. Von ihren Steuergeldern.
Schorndorf ist also auf dem besten Weg, jener fiktiven Stadt, die ebenfalls mit „Sch“ anfängt, und über deren leider nur vermeintlich clevere Bürger schon Generationen lachten, ernsthaft Konkurrenz zu machen.