Gedenktag
Das Recht, den Dienst mit der Waffe verweigern zu dürfen, ist ihr zu verdanken: Anna Haag, die heute vor 133 Jahren, am 10. Juli 1888, in Althütte zur Welt kam.
Sie war die Tochter des Dorfschullehrers Jakob Schaich und wuchs mit fünf Geschwistern auf. Sie ging in Backnang auf die Höhere Töchterschule und heiratete 1909 Albert Haag, der später Professor für Mathematik und Philosophie wurde. Sie zog drei Kinder auf und schrieb Texte für Zeitungen sowie Romane. In Bukarest leitete sie 1916 eine Flüchtlingsunterkunft und ein Wohnheim für deutsche Arbeiterinnen.
Anna Haag war überzeugte Pazifistin, war aktives Mitglied der „Frauenliga für Frieden und Freiheit“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie als SPD-Mitglied in den Landtag gewählt und beantragte dort eine Verfassungsänderung, nämlich, dass unter Artikel 47 dieser Satz aufgenommen wird: „Niemand darf zum Kriegsdient gezwungen werden!“ – und stieß auf großen Widerstand. So ließ etwa die „Deutsche Volkspartei“ von Ministerpräsident Reinhold Maier über die Presse verkünden, dass sie dagegen stimmen werde.
Am 7. November 1947 stellte Anna Haag den Antrag: „Der Landtag wolle folgende Verfassungsänderung zu Artikel 47 beschließen: Im Art. 47 ist folgender Satz als zweiter Absatz einzufügen: Niemand darf zum Kriegsdienst gezwungen werden!“ Umgehend forderte daraufhin der CDU-Abgeordnete Felix Walter, dieses Anliegen dem Rechtsausschuss zu überweisen, statt im es im Landtag zu diskutieren. Dem stimmte das Parlament ohne weitere Aussprache zu.
Als Anna Haag sah, dass sie nicht die nötige Mehrheit für eine Verfassungsänderung bekommen werde, unternahm sie einen zweiten Versuch und beantragte am 28. Februar 1948, das Kriegsdienstverweigerung (zunächst einmal) als einfaches Gesetz vom Landtag beschließen zu lassen. In der Sitzung am 15. April 1948 stand er auf der Tagesordnung, wurde aber auf Betreiben anderer Abgeordneter wieder nicht behandelt. Am folgenden Tag setzte der Präsident das Thema erneut auf die Tagesordnung. Da erklärte der Sprecher des Rechtsausschusses, dass von seinem Gremium eine Änderung der Verfassung „nicht erwünscht“ sei. Auch ein Schreiben des Heidelberger Frauenvereins und weitere Briefe, die Anna Haags Anliegen unterstützten, änderten daran nichts.
Daraufhin ergriff Anna Haag das Wort. Sie bedauerte, dass einige Abgeordnete durch diesen Gesetzentwurf „offenbar in einen inneren Zwiespalt gekommen“ seien. Ihnen empfahl sie, „sie möchten doch einmal jene Lazarette besuchen, wo die Menschenwracks, unseren Augen entrückt, lebendig begraben sind, jene Überbleibsel junger, schöner Menschen ohne Gesichter, ohne Rücken, menschliche Rümpfe ohne Arme und ohne Beine, aber mit dem lebendigen Bewußtsein, das sie zwingt, in jeder Minute ihre Qual wahrnehmen zu können. Sie sehen dort, was Menschen angetan werden kann.“
Der in Oberurbach geborene KPD-Abgeordnete Hermann Nuding sprang ihr bei. Er meinte, das Gesetz könne kommende Kriege zwar nicht verhindern, hielt es aber für wichtig, weil es auch „ein bestimmter Ruf an die Welt sein sollte, der Menschheit den Frieden zu geben und Schluß zu machen mit der Fortsetzung der kriegerischen Geschichte“. Als es zur Abstimmung kam, war fast die Hälfte der Abgeordneten abwesend. Die Fraktionsspitzen hatten ihre Mitglieder vom Fraktionszwang entbunden. Das Gesetz wurde von den Anwesenden angenommen. Später fand es dann doch noch Aufnahme in der württembergischen Verfassung, und 1949 wurde es ins Grundgesetz der Bundesrepublik übernommen.
Anna Haag schied im Jahr drauf aus dem Landtag aus und gab eine Zeitschrift mit dem Titel „Die Weltbürgerin“ heraus“, um Frauen zur politischen Mitgestaltung der Gesellschaft zu motivieren. Sie engagierte sich u.a. im Städtischen Beirat der Stadt Stuttgart und war Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaft Stuttgarter Frauen. 1951 gründete sie in Cannstatt eine Wohn- und Arbeitsstätte für junge Frauen, die heute Anna-Haag-Haus heißt. Außerdem bereiste sie die USA mit Vorträgen, um dort für Aussöhnung und Völkerverständigung zu werben.
Sie starb am 20. Januar 1982 in Stuttgart. Die Germanistin Christa Gallasch würdigte ihr großes Verdienst, dass junge Männer den Dienst mit der Waffe verweigern dürfen, mit den Worten: „Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte behauptete das Individuum sein Recht, den Befehl des Staats zu verweigern, andere Menschen zu töten.“