Gedenktag
Heute vor 26 Jahren starb die Schriftstellerin Amalie von Furtenbach. Ihre Impressionen vom Leben in Schorndorf vor 100 Jahren begeistern bis heute.
Am 19. Juni 1901 erblickte sie in Hebron, Labrador, das Licht der Welt, als erstes Kind von Friedrich Nestle, der dort im Missionsdienst der Herrnhuter Gemeine stand. Ihre Mutter war die Apothekerstochter Emilie Weismann, die er am 12. Juli 1900 in deren Heimatort Wilhelmsdorf geheiratet hatte.
Aus dem Brief eines anderen Missionars erfährt man über die klimatischen Verhältnisse in Labrador: „Schon am 19ten Nov. waren unsere Buchten mit gangbarem Eis belegt, welches erst am 27ten Juny wieder wegging. Der Winter war anhaltend streng; doch stieg die Kälte nicht über minus 36 Grad Celsius. Einem weiteren Missionarsbrief von dort ist zu entnehmen: „Das bischen Sommer, das wir hatten, war meistens Regen, Nebel, und immerwährende Eisluft.“
Bereits im Jahr 1903 kehrte die Familie wegen eines Ohrenleidens von Friedrich Nestle wieder nach Deutschland zurück. Im Jahr zuvor war Amalies Bruder Willy dort zur Welt gekommen. Ihr zweiter Bruder, Eugen, wurde 1905 geboren, kurz bevor die Familie nach Schorndorf übersiedelte. Hier kam im Jahr 1907 ihr dritter Bruder, Gerhard, zur Welt und 1910 die Schwester Lydia Johanna. Amalie besuchte die Schorndorfer Mittel- und Frauenarbeitsschule, bevor sie in Stuttgart am Olga-Hospital Krankenschwester lernte und 1928 ihr Staatsexamen ablegte. Diesen Beruf übte sie bis 1933 aus. Dann starb ihre Mutter, und Amalie führte fortan den Haushalt für ihren Vater im Haus in der Schlichtener Straße 59, oberhalb des Marienstifts.
Wenige Jahre später erhielt sie einen Brief aus Wien, vom Artillerie-Oberst Franz Josef von Furtenbach auf und zu Schregenberg und Lefis, der die Geschichte seiner Familie erforschte und bei ihr anfragte, da ihre Großmutter Luise mütterlicherseits eine geborene von Furtenbach war. Es stellte sich heraus, dass diese einem anderen Zweig angehörte. Allerdings entspann sich daraufhin ein fünf Jahre währender Briefwechsel, der darin gipfelte, dass der Österreicher um die Hand der 28 Jahre Jüngeren anhielt. Am 10. Juni 1944 wurde das Paar in Schorndorf getraut und lebte in ihrem elterlichen Haus, bis Franz Josef von Furtenbach 1946 nach Österreich ausgewiesen wurde, wo er vier Jahre später starb. Amalie kehrte daraufhin wieder nach Schorndorf zurück und pflegte ihren Vater bis zu seinem Tod am 5. Mai 1956.
Schon im Jahr 1936 hatte Amalie von Furtenbach im „Schwäbischen Merkur“ eine Erzählung mit dem Titel „Die Winzerin“ veröffentlicht, desgleichen Gedichte in Anthologien. Ab 1951 wurden in der hiesigen Zeitung regelmäßig ihre Kindheitserinnerungen aus dem Leben in der Stadt abgedruckt, und schließlich 1978 von Jürgen Betzmann, dem damaligen Leiter der Stadtbücherei herausgegen unter dem Titel „Verwehte Atmosphäre“. Darin beschreibt sie auf einzigartige Weise das Alltagsleben vor hundert Jahren in Schorndorf, als beispielsweise Frauen Kübel mit Wasser (oder sogar den Inhalt von Aborten) auf dem Kopf zu den „Gartenstücklen“ trugen, als die Waschfrau ins Haus kam, die überdies als Kindbettwärterin diente, und die Dekansfrau Gmelin einen Flickverein für junge Mädchen gründete, in dem auch vorgelesen werden sollte, „dass sie lernen, den Geist zu bilden; Gutes von Geringem zu unterscheiden“.
Zu ihrem 85. Geburtstag wurde Amalie von Furtenbach 1986 bei einem Festakt im Rathaus zum Ehrenmitglied des Heimatvereins ernannt, 1991 zog sie ins Marienstift und starb am 4. Februar 1995 im Karlsstift. „So etwas wie eine Archäologie unserer lokalen Mentalitätsgeschichte“ geleistet zu haben, beschied Thomas Milz ihr in seiner Laudatio 1986. Sie habe „ein Erbe aus unserer Vergangenheit herübergereicht. Ihre Erinnerungen können nun uns Verbündete sein gegen eine Entsorgung von Geschichte“. Sie habe eine Welt „mit allen Sinnen“ beschrieben. Und: „Es verursacht eine wehmütige Lust, was man in diesen Texten noch alles schmecken, riechen, tasten, sehen und fühlen“ könne.