Der Fall eines 61-Jährigen aus dem Rems-Murr-Kreis vor dem Landgericht Stuttgart endete vorige Woche mit der Einstellung des Verfahrens. Ihm war wegen eines Kommentars auf Facebook Volksverhetzung vorgeworfen worden. Sein Rechtsanwalt, Dirk Sattelmaier, sprach der Richterin ein großes Kompliment aus: „Sie war bestens im Bilde“, sprich: Sie habe alle einschlägigen Urteile, die solche Fälle betreffen, gekannt.
Aus seinen Erfahrungen heraus sei das nicht selbstverständlich. Oft erlebe er, dass Richter wichtige Unterlagen nicht zur Hand, geschweige denn gelesen hätten. „Ich helfe da dann gern aus“, sagt Sattelmaier in einem Video, in dem er von diesem Fall berichtet. So besteht er auch darauf, den Paragraphen 130, Absatz 3 Strafgesetzbuch, der diese Volksverhetzung definiert, genau anzuschauen.
Der Angeklagte hatte während der Corona-Pandemie den Artikel einer Stuttgarter Zeitung über Zugangsbeschränkungen für ungeimpften Personen zu Restaurants und Cafés in Griechenland auf Facebook mit den Worten kommentiert: „… als nächstes dann Armbinde und Lager, so hat es vor 80 Jahren bei uns angefangen, schon vergessen???…“
In Stuttgart fand jetzt das Berufungsverfahren statt, nachdem der Angeklagte zuvor am Amtsgericht Schorndorf zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Angezeigt hatte ihn ein anderer Nutzer jener Facebook-Kommentarspalte.
Anwalt Sattelmaier war höchst irritiert über das Vorgehen der hiesigen Richterin, die ihr Urteil gefällt hatte, obwohl der damalige Anwalt des Beschuldigten krankheitshalber abwesend war. Auch hätte sie in diesem Urteil Dinge geschrieben, die er „nicht für möglich gehalten“ habe, weil sie allem, was ihm zu diesem Thema bekannt sei, vor allem auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, widersprächen: „Da war alles falsch.“
Auf unsere Anfrage hin erklärte Doris Greiner, Leiterin des Amtsgerichts Schorndorf: „Auf irgendwelche Videos von Anwälten können wir Ihnen keine Antwort geben.“ Über den Ausgang der Berufungsverhandlung werde sie vom Landgericht informiert: „Alle Verfahren kommen in den Rücklauf.“
Da jedoch in Stuttgart jetzt weder ein Freispruch noch die Aufhebung ihres Urteils erfolgt ist, sei „doch alles in Ordnung“. Eine derartige Einstellung des Verfahrens sei „ein ganz normaler Vorgang“ und deute nicht auf einen Fehler an ihrem Amtsgericht hin, sondern nur auf unterschiedliche Rechtsauffassungen.
Nach Ansicht von Rechtsanwalt Sattelmaier habe die hiesige Richterin allerdings „Tatbestandsvoraussetzungen“ nicht berücksichtigt. So hege er starke Zweifel daran, dass man aus dem Kommentar seines Mandanten eine Bezugnahme auf Völkermord oder eine Verharmlosung von früher in Deutschland begangenen Gräueltaten herauslesen könne. Vor allem aber sieht er keinerlei Hinweis, dass diese Worte geeignet wären, den „öffentlichen Frieden“ zu stören.
Er gestehe der Schorndorfer Richterin zu, die Meinung seines Mandanten als abscheulich anzusehen, doch sei das nicht Thema dieser Gerichtsverhandlung. Es gehe da nicht um richtig oder falsch, sondern um die Frage, ob eine Straftat vorliege. Und dies sei in seinen Augen hier ganz klar nicht der Fall.
Nachdem die Richterin am Stuttgarter Landgericht das nun genauso sah, wäre eigentlich ein Freispruch fällig gewesen. Stattdessen einigten sich die Parteien aber auf Einstellung des Verfahrens durch Zahlung einer „kleinen, symbolischen Geldauflage“ des Angeklagten an eine wohltätige Institution.
Der Grund: Laut Sattelmaier wäre nach einem Freispruch die Staatsanwaltschaft wahrscheinlich per Revision in die nächste Instanz gegangen. Für solch eine Fortführung des Verfahrens habe der Angeklagte jedoch weder die Zeit noch die Nerven. Sattelmaier selbst hätte zwar gern einen Präzedenzfall am Oberlandesgericht Stuttgart geschaffen, zeigt dafür jedoch Verständnis: „Das sind Belastungen, denen nicht jeder standhalten kann.“
Interessant ist in diesem Zusammenhang, was Elke Büdenbender, die Gattin des Bundespräsidenten und selbst Richterin, kürzlich in einem Podcast des „Tagesspiegel“ (ab Minute 33:00) gesagt hat. Sie meint, dass sich alle Menschen in Deutschland darauf verlassen könnten, „nicht ausgeliefert zu sein den Handlungen des Staates“. Weil man sich gerichtlich wehren könne.
Sie verstehe deshalb nicht, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen des Staates derzeit einen Tiefpunkt erreicht hat.