Kommentar
Auf die Frage, warum ein Kandidat für den Posten des Oberbürgermeisters kandidiert, bekommen wir oft zu hören: „Weil ich eine Herausforderung suche“ oder „weil ich in der Stadt gestalten will“. Das klingt uns inzwischen so vertraut, dass wir uns gar nicht mehr darüber klar sind, was das bedeutet.
Angenommen, da bewirbt sich einer für den Job eines Busfahrers im städtischen Nahverkehr. Angenommen, er ist gelernter Friseur und sagt: „Ich suche eine neue Herausforderung“, obwohl er gar keinen Busführerschein hat. Würde irgendein Mensch mit halbwegs Verstand diesen Mann einstellen? Nein.
Wenn dieser Mann es jedoch tatsächlich irgendwie schaffen sollte, am Steuer zu sitzen, und er sagt uns als Passagieren, dass er die Fahrt „gestalten“ möchte – steigen wir dann wirklich mit gutem Gefühl bei ihm ein? Ich würde das definitiv nicht tun. Das wäre mir zu gefährlich.
Ich würde ihm vorschlagen: „Wenn Sie etwas gestalten möchte, können Sie ja einen VHS-Kurs in Bildhauerei belegen.“ Wenn sich dann herausstellt, dass seine Kreativität mit der eines Michelangelo nicht mithalten kann, ist nur ein bisschen Marmor kaputtgegangen und sonst kein größerer Schaden entstanden.
Ich würde ihm auch sagen: „Wenn sie eine Herausforderung suchen, können Sie beispielsweise für den Berlin-Marathon trainieren.“ Sollte sich herausstellen, dass er dieser Herausforderung nicht gewachsen war, bricht er den Lauf halt vorher ab und/oder hat ein paar Blasen an den Füßen. Die heilen wieder.
Was von der einen Seite als Herausforderung angesehen wird, stellt sich von der anderen Seite mitunter als unkalkulierbares Wagnis dar. Selbst in einem Gesangsverein überträgt man den Posten des Kassiers meistens dem- oder derjenigen, die etwas von Zahlen verstehen. Unser scheidender OB hat, als er sich seinerzeit hier bewarb, ein Studium in Sportwissenschaften mitgebracht. Wenn er jetzt geht, hinterlässt er der Stadt einen Schuldenberg von – momentan – 166 Millionen Euro. Tendenz steigend. Aus Erfahrung wird man klug, heißt es.