Glosse
Neulich sah ich nachts, wie ein junger Mann sich am Unteren Marktplatz an einem Wahlplakat zu schaffen machte. Ich sprach ihn an und fragte ihn, was er da tue.
Er: Diese Nazis! Diese verdammten Nazis! Weg damit!
Ich: Da steht aber AfD drauf.
Er: Die sind ja alle Nazis.
Ich: Woher wissen Sie das?
Er: Das weiß man doch!
Ich: Aha.
Er: Das weiß doch jeder.
Ich: Wer denn zum Beispiel?
Er: Die Politiker,… äh,… Leute, die ich kenne,… äh…, äh. Alle eben.
Ich: Haben Sie schon mal selbst mit einem von der AfD gesprochen?
Er (entrüstet): Mit so jemand rede ich doch nicht!
Ich: Sie verlassen sich also lieber auf das Urteil andere, als sich selber eins zu bilden?
Er: Wenn es doch alle sagen, dann muss es ja stimmen!
Ich: Könnte auch sein, dass „alle“ nur nachplappern, was „einer“ vorgesagt hat.
Er: Wer denn?
Ich: Weiß ich nicht.
Er: Und warum sollte er das tun?
Ich: Vielleicht, um von eigenen Schwächen abzulenken?
Er: Wie sollte das gehen?
Ich: Wenn einer sagt, der andere ist böse, denkt man unwillkürlich, der Sprecher ist anders, muss also gut sein.
Er: Verstehe. Jemand anderen schlecht machen, um sich selbst zu erhöhen.
Ich: Exakt.
Er: Und wie findet man dann heraus, wo die Wahrheit liegt?
Ich: Vielleicht, indem man mal mit jemand von der AfD persönlich spricht.
Er: Mit denen rede ich nicht.
Ich: Weiß ich. Ist aber eigentlich schade. Haben Sie Angst vor denen?
Er: Ich? Angst? Never! Ich bin kein Angsthase.
Ich: Ach ja? Sich nachts an einem Plakat abzuarbeiten, kommt mir jetzt nicht gerade sehr mutig vor.
Er: Besser etwas tun, als nur zuhause sitzen und jammern.
Ich: Grundsätzlich richtig, aber nicht, wenn es komplett undemokratisch ist.
Er: Die AfD wird vom Verfassungsschutz beobachtet!
Ich: Aber sie ist rechtmäßig zur Wahl zugelassen.
Er: Kann gar nicht sein. Das sind doch Nazis!
Ich: Und warum würde dann dieses Plakat hier hängen – gehangen haben?
Er: Und warum beobachtet der Verfassungsschutz sie dann?
Ich: Sie meinen, wie damals, als er die Grünen im Wahlkampf 1983 beobachtet hat?
Er: Die Grünen? Der Verfassungsschutz hat die Grünen beobachtet?
Ich: Ja, so ist es.
Er: Das ist nicht wahr.
Ich: Steht aber im Verfassungsschutzbericht.
Er: Das wusste ich nicht.
Ich: Ist ja auch schon lange her.
Er: Ähm… aber… Warum hätte er das tun sollen?
Ich: Weil der Präsident des Amts für Verfassungsschutz ein sogenannter „politischer Beamter“ ist.
Er: Na und?
Ich: Weil er deshalb nichts anderes als ein verlängerter Arm der Regierung ist.
Er: Das behaupten Sie jetzt einfach mal so.
Ich: Nein, das steht in § 30 Absatz 1 des Beamtenstatusgesetzes: Er muss „in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen“.
Er: Und das heißt…?
Ich: Nun, das heiß, dass er das tut, was die Regierung wünscht. Zum Beispiel ihr ganz schlicht nur Konkurrenz anderer Parteien vom Hals zu halten.
Er: Ja, dann ist der Verfassungsschutz ja gar nicht so unabhängig, wie ich immer dachte?!
Ich: Nein, ist er nicht. Die NZZ hat das kürzlich sehr anschaulich aufgezeigt.
Er: Jetzt bin aber…, also… – Ja also, wem kann man da dann eigentlich noch glauben?
Ich: Ihrem eigenen gesunden Menschenverstand.
Er: Häh?
Ich: Reden doch Sie einfach mal mit einem von der AfD. Nur so. Um ihn persönlich kennenzulernen.
Er: Sie wollen mir da jetzt irgendwas unterjubeln.
Ich: Wenn Sie sich eine eigene Meinung bilden?
Er: Sie wissen doch irgendwas, das Sie mir vorenthalten…
Ich: Ich weiß nur, dass es die AfD-Fraktion im Gemeinderat war, die die Missstände bei unsren Stadtwerken öffentlich gemacht hat.
Er: Wahrscheinlich war der Whistleblower ein Parteimitglied.
Ich: Der Whistleblower hat auch die anderen Fraktionen informiert. Aber die haben nicht reagiert.
Er: Woher wollen sie das wissen?
Ich: Ich hab gefragt.
Er: Die können Ihnen alles erzählen…!
Ich: … und tun. Sie haben sich schützend vor Stadtwerke-Mitarbeiter gestellt, die als „Ratten“ bezeichnet worden waren, und sie haben sich für die Imbissstände auf dem Markt eingesetzt, die an Ostern wegen zu hoher Inzidenzzahlen verboten wurden.
Er: Das ist ein Trick! Das ist ein ganz, ganz übler Trick der AfD!!
Ich : Bitte?!
Er: Ja! Erst tun sie so, als wenn sie sich für uns einsetzen, aber wenn sie erst mal an der Macht sind, dann zeigen sie ihr wahres Gesicht!
Ich: Weil sie „nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“, wie es heißt?
Er: Genau! Ganz genau. Weil sie das missachten.
Ich: Weil sie dann, wie schon einmal geschehen, bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgrenzen, sie diffamieren, ihnen den Besuch von Theater und Kinos verbieten sowie die Ausübung ihrer Berufe…?
Er: Genau! Ganz genau!
Ich: So, wie es unsere Bundesregierung jetzt mit Ungeimpften macht?
Er: Aber das ist doch was ganz anderes!
Ich: Ach ja?
Er: Erstens sind die selbst schuld, sie könnten sich ja impfen lassen.
Ich: Grundrechte sind nicht an Bedingungen geknüpft.
Er: Und außerdem ging es ja damals um Politik, aber heute kämpfen wir gegen ein gefährliches Virus.
Ich: Ja, das ist das Fiese, wenn wir aus der Geschichte lernen wollen.
Er: Was soll daran fies sein?
Ich: Dass die Lehren, die man gezogen hat, immer wieder neu angepasst werden müssen. Weil das Böse leider in immer wieder anderer Gestalt daherkommt.