Der Bergahorn am Schloss ist nun endgültig umgesägt worden, nachdem er lange Zeit schon nicht mehr grünte. Mit seiner weitausladenden Krone gab er ein eindrucksvolles Bild ab, und war „wegen seiner Wirkung am Standort und seiner ökologischen Bedeutung“ zum Naturdenkmal erklärt worden, wie die zuständige Pressestelle des Finanzministeriums auf Anfrage erklärte.
Sein Alter wird auf 150 Jahre geschätzt, er stammt also aus Zeiten, da die Welt komplett anders aussah: ohne Autos, ohne Fußballbundesliga, ohne elektrisches Licht und Frauenwahlrecht. Wobei just im Jahr 1872, seinem angenommenen „Geburtsjahr“, tatsächlich eine Frau für das Amt der US-Präsidentschaft kandidierte: Victoria Woodhull.
Und am 11. März 1872 begann in Leipzig ein Prozess gegen August Bebel und Wilhelm Liebknecht wegen „Hochverrats“: Sie hatten sich anno 1870 bei der Bewilligung von Krediten für den Krieg gegen Frankreich der Stimme enthalten. Später schlugen sie einen Friedensvertrag „unter Verzichtleistung auf jede Annexion französischen Gebietes“ vor, weshalb sie wegen Landesverrats inhaftiert wurden.
Im Jahr 1872 wurde das erste Patent für eine Achterbahn und eins zur Herstellung von Milchpulver angemeldet, das Metropolitan Museum of Art eröffnete in New York, und Richard Wagner legte den Grundstein für sein Festspielhaus in Bayreuth. Das in der Königlich Württembergischen Gewehrfabrik in Oberndorf am Neckar produzierte Gewehr Mauser Modell 71 wurde als erstes deutsches Reichsgewehr eingeführt, und Claude Monet malte sein Bild „Impression, Soleil levant“ in einer neuen Technik, die dieser Gattung ihren Namen gab.
In jenem Jahr sind zudem einige interessante Frauen geboren, wie zum Beispiel Elsa Neumann, die 1899 als erste Frau im Fach Physik an der Berliner Universität promoviert wurde, oder die österreichische Pädagogin Eugenie Schwarzwald, die in ihrer Lehre auf Gewaltfreiheit, Förderung der Phantasie und Gestaltungskraft sowie die freie Entfaltung jedes Kindes setzte. Mit Maria Montessori pflegte sie Kontakt, und auf ihren Ideen basierte später eine umfassende Schulreform.
Außerdem kam Alice Salomon in jenem Jahr zur Welt, die 1906 über „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“ promovierte und 1908 die erste Frauenschule für Sozialarbeit in Berlin gründete, deren Leiterin sie bis 1925 war. Und in England wurde Emily Davison geboren. Diese engagierte sich später als Suffragette für das Frauenwahlrecht. Weil sie im Jahr 1913 bei einem Rennen vor das Pferd des Königs lief und dabei getötet wurde, galt sie als Märtyrerin der Bewegung.
Bezüglich des Schorndorfer Bergahorns schreibt die Pressestelle: „Das zuständige Amt Ludwigsburg des Landesbetriebs Vermögen und Bau Baden-Württemberg musste die Entscheidung, den Baum zu fällen, auf der Grundlage von zwei Gutachten treffen.“ Der Stamm sei von „holzzersetzenden Pilzen“ befallen gewesen und habe in unmittelbarer Nähe zum Fußweg eine Gefahr dargestellt. Jedoch solle er „als zukünftiges Habitat für Flora und Fauna“ dienen, weshalb er dort liegenbleibe.