Nachdem Adolf Hitler vor knapp 90 Jahren zum Reichskanzler ernannt worden war (der 30. Januar 1933 ist als Tag der „Machtergreifung“ in die Geschichte eingegangen), gab es in ganz Deutschland Demonstrationen. Auch in Schorndorf versammelten sich spontan 50 Kommunisten am 2. Februar vor dem Rathaus und zogen dann singend zum Augustenplatz, wie Barbara Hammerschmitt in ihrer Dissertation „Schorndorf in der Zeit des Nationalsozialismus“ beschreibt. Drei Tage darauf, am 5. Februar, erfolgte eine weitere, „gemeinsame Protestveranstaltung von Gewerkschaften, Kommunisten und Sozialdemokraten“. Dabei fanden sich laut Bericht des damaligen Polizeikommissars Staiger sogar 500 Personen auf dem Marktplatz ein, „hinzu kommen noch 500 Zuhörer, so daß sich nach meiner Schätzung etwa 1.000 Personen vor dem Rathaus befunden haben.“
Barbara Hammerschmitts Forschungen sind in den Heimatblättern (Nr. 15) nachzulesen. So erfahren wir dort, der NSDAP-Ortsgruppenleiter Schaufler habe sich anschließend beschwert, dass die Polizei eine „Verhöhnung“ des Reichskanzlers in ihren Gesängen nicht unterbunden habe. Bürgermeister Raible entgegnete ihm: „Am Sonntag, den 5. Februar ds. Js., bestand vollständige Versammlungsfreiheit. Der Aufmarsch war weder anzeige- noch genehmigungspflichtig.“ Eine anderslautende, am 4. Februar ergangene Verordnung des Reichspräsidenten „zum Schutze des deutschen Volkes“ sei im Reichsgesetzblatt erst am 6. Februar veröffentlicht worden, und dann am 9. Februar 1933 beim Bürgermeisteramt in Schorndorf eingegangen.
Zwar bedauerte Raible „lebhaft“, dass auf der Rathaustreppe „ohne Wissen und wider Erwarten der Polizei auch Kommunisten sich aufgestellt haben.“ Dies sei jedoch nicht der Polizei anzukreiden, sondern daran sei „der Mangel der Gesetzgebung schuld“, wenngleich auch der Inhalt dessen, was jener Redner von sich gab, „keineswegs zu beanstanden“ gewesen sei. Gleichwohl sei zu seiner „großen Befriedigung“ unlängst „von oben mit starker Hand eingegriffen“ worden, wodurch „der Wiederholung derartiger Vorgänge ein für alle Mal vorgebeugt“ werde.
Barbara Hammerschmitt schließt daraus, dass Raible zwar die örtliche Polizei vor den Anschuldigungen Schauflers in Schutz nahm, gleichzeitige „jedoch auch seine Loyalität gegenüber der neuen Regierung bekundete, deren Maßnahmen, vor allem gegen die Kommunisten, er entschieden begrüßte“. Der Ortsgruppenleiter ließ übrigens nicht locker und erwirkte schließlich im Juli 1935, dass der damals 49-jährige Polizeikommissar Staiger „wegen Verdachts auf Amtsunterschlagung und der versuchten Aktenbeseitigung“ vorläufig seines Dienstes enthoben und sein Gehalt um die Hälfte gekürzt wurde. Nachdem ihn das Schöffengericht Bad Cannstatt im Dezember 1935 von diesem Vorwurf freigesprochen hatte, wurde er zwar nicht wieder in sein Amt eingesetzt, doch wurden ihm die vollen Ruhestandsbezüge zugesprochen, so dass die Stadt die zuvor einbehaltene Hälfte seines Gehalts nachzahlen musste.
Nach Erkenntnis von Barbara Hammerschmitt waren „die Techniken der Nationalsozialisten, ihre Gegner aus den Ämtern zu vertreiben und bei der Bevölkerung zu diskreditieren“ vielfältig, zu denen unter anderem „Einschüchterungen und Verleumdungen“ zählten.