Wenn ein Regierungsmitglied Menschen lobt, weil sie für „für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte auf die Straße“ gehen, kann man sicher sein, dass sie damit nicht Geschehnisse direkt vor ihrer Haustür meinen. Zwar bezieht sich die Grünen-Politikerin explizit auf Demonstrationen von „mutigen Menschen“, die „in Berlin, Dresden und vielen anderen Städten“ stattfanden. Aber eben nicht jetzt. Sondern vor langer Zeit. Nämlich anno 1848. Die sogenannte Märzrevolution von damals jährt sich jetzt zum 175. Mal, weshalb die Kulturstaatssekretärin eine Pressemitteilung herausgab.
Forderungen nach Versammlungs‑, Meinungs- und Pressefreiheit waren zentrale Aspekte der Deutschen Revolution. Ihr Auslöser: Brotknappheit, Teuerung, soziale Missstände. Den Protestierern stand eine Bürgerschaft gegenüber, deren oberstes Bedürfnis war, dass Ruhe bewahrt und die seitherige Ordnung beibehalten wird. Die Demonstranten ihrerseits haben mit sogenannten „Katzenmusiken“ Eingang in die Geschichtsbücher gefunden. Sie machten direkt vor den Häusern der Obrigkeit Krawall mit Musikinstrumenten und anderen Geräten, da wurde gepfiffen, geschrien, skandiert, gejohlt.
Für Schorndorf berichtet die Historikerin Ines Hildt von einem solchen Fall. Auf den Tag genau heute vor 175 Jahren, am 27. März 1848, beklagte sich der Stadtpfleger Herz aus Haubersbronn bei seinem Dienstherren, dass er „in der größten Angst.“ lebe, weil sein Haus jeden Abend „durch Personen umstellt“ werde, „die mich durch Singen, Schreien und Heraus-Rufen belästigen“, was bis morgens um 4 Uhr andauere: „Die ganze Nacht mußte ich über mein Eigenthum wachen, wodurch ich führ 2 Tagen das Bett hüten muß. Will ich Jemand Fremdes ins Haus nehmen, so wird mit Häußer anzünden, Füße raschlagen, Fenster einwerfen gedroht.“
Herz bittet, „Euer Hochwohlgeboren werden solche Vorkehrung gefälligst treffen, damit diese heimliche Belagerung aufhört und Ruhe erhalten“ werde, denn „ehe dieses geschieht, werde ich nicht im Stande seyn aus dem Bett zu gehen. Hoffe, daß Euer Hochwohlgeboren Ruhe schaffen werden.“ (nachzulesen in Ines Hildt: „Schorndorf zur Zeit der Revolution von 1848“, Heimatblätter Band 13)
Aus dem Großherzogtum Baden berichtete einer der Anführer, Friedrich Hecker: „Die Frauen und Mädchen zeigten sich muthiger und begeisterter als die Männer.“ Sie rekrutierten beispielsweise Mitstreiter, indem sie denen erklärten, „daß es feige seie, uns im Stiche zu lassen und daheim zu sitzen, während wir die Freiheit erstreben wollten“. Namentlich sind nur wenige von ihnen schriftlich überliefert. Bekannt wurde die Lehrerin Amalie Struve, die mitunter Hosen statt Röcken trug, sich aktiv an den Aufständen beteiligte und daher über ein halbes Jahr lang in Freiburg im Gefängnis saß.
Emma Herwegh hat ihre Erlebnisse 1849 schriftlich festgehalten in dem Buch „Zur Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris. Von einer Hochverräterin“. Sie schrieb: „Ich las französische Revolutionsgeschichte und war wie von einer vulkanischen Glut getrieben, bald glühend, bald halb erstarrt. – Wie aber, wenn eine Zeit käme, wo jeder Mensch königlich dächte, wo die Gesamtbildung eine so allgewaltige wäre, daß der Mensch im Andern nur den Bruder sähe, wo nur Verdienste anerkannt würden, wo der Geist des Göttlichen sich in jeder Brust offenbart hatte; bedürfte es dann jener Könige noch?“
In Zimmern ob Rottweil unterstützten zwei Frauen einen Protest-Marsch nach Cannstatt, indem sie dafür Unterschriften sammelten: die 35-jährige „Löwen“-Wirtin Katharina Müller und Theresia Rosenberger, Frau des Schultes. Sie beide wurden von einem Tagelöhner denunziert und mussten sich vor einem Gericht verantworten. Nur weil sie deshalb in Vernehmungsakten auftauchen, sind ihre Namen und diese Geschehnisse der Nachwelt erhalten geblieben.
Ihren Anfang nahm die Revolution durch sogenannte „Brotkrawalle“ in mehreren Städten: Da protestierten Frauen gegen Preistreiberei und dass ihnen Ware vorenthalten wurde. Unterstützt wurden sie oft von Studenten. In Stuttgart hatte Beate Calwer bei den „Brotkrawallen“ vom 3. Mai 1847 gerufen: „Ihr seyd keine Kerle, ihr Hosenscheißer“. Sie wurde zu vier Wochen Gefängnis verurteilt. In Aalen hielt, wie der dortige Geschichtsverein berichtet, am 27. März 1848 bei einer Versammlung, zu der viele Menschen aus dem Umland kamen, „ein Fräulein, nachmals Schwägerin des damaligen Schreinermeisters Betzler beim Spritzenhaus, eine freisinnige Rede“.
Kulturstaatssekretärin Claudia Roth stellt sich voll auf deren Seite, wenn sie verkünden lässt: „Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeiten, sie müssen erstritten, erkämpft und immer wieder aufs Neue verteidigt werden.“