Claudia Roth lobt „mutige Menschen“

Wenn ein Re­gie­rungs­mit­glied Men­schen lobt, weil sie für „für Frei­heit, De­mo­kra­tie und Men­schen­rechte auf die Straße“ ge­hen, kann man si­cher sein, dass sie da­mit nicht Ge­scheh­nisse di­rekt vor ih­rer Haus­tür mei­nen. Zwar be­zieht sich die Grü­nen-Po­li­ti­ke­rin ex­pli­zit auf De­mons­tra­tio­nen von „mu­ti­gen Men­schen“, die „in Ber­lin, Dres­den und vie­len an­de­ren Städ­ten“ statt­fan­den. Aber eben nicht jetzt. Son­dern vor lan­ger Zeit. Näm­lich anno 1848. Die so­ge­nannte März­re­vo­lu­tion von da­mals jährt sich jetzt zum 175. Mal, wes­halb die Kul­tur­staats­se­kre­tä­rin eine Pres­se­mit­tei­lung her­aus­gab.

For­de­run­gen nach Versammlungs‑, Mei­nungs- und Pres­se­frei­heit wa­ren zen­trale  Aspekte der Deut­schen Re­vo­lu­tion. Ihr Aus­lö­ser: Brot­knapp­heit, Teue­rung, so­ziale Miss­stände. Den Pro­tes­tie­rern stand eine Bür­ger­schaft ge­gen­über, de­ren obers­tes Be­dürf­nis war, dass Ruhe be­wahrt und die seit­he­rige Ord­nung bei­be­hal­ten wird. Die De­mons­tran­ten ih­rer­seits ha­ben mit so­ge­nann­ten „Kat­zen­mu­si­ken“ Ein­gang in die Ge­schichts­bü­cher ge­fun­den. Sie mach­ten di­rekt vor den Häu­sern der Ob­rig­keit Kra­wall mit Mu­sik­in­stru­men­ten und an­de­ren Ge­rä­ten, da wurde ge­pfif­fen, ge­schrien, skan­diert, ge­johlt.

Für Schorn­dorf be­rich­tet die His­to­ri­ke­rin Ines Hildt von ei­nem sol­chen Fall. Auf den Tag ge­nau heute vor 175 Jah­ren, am 27. März 1848, be­klagte sich der Stadt­pfle­ger Herz aus Hau­bers­bronn bei sei­nem Dienst­her­ren, dass er „in der größ­ten Angst.“ lebe, weil sein Haus je­den Abend „durch Per­so­nen um­stellt“ werde, „die mich durch Sin­gen, Schreien und Her­aus-Ru­fen be­läs­ti­gen“, was bis mor­gens um 4 Uhr an­dauere: „Die ganze Nacht mußte ich über mein Ei­gent­hum wa­chen, wo­durch ich führ 2 Ta­gen das Bett hü­ten muß. Will ich Je­mand Frem­des ins Haus neh­men, so wird mit Häu­ßer an­zün­den, Füße raschla­gen, Fens­ter ein­wer­fen ge­droht.“

Herz bit­tet, „Euer Hoch­wohl­ge­bo­ren wer­den sol­che Vor­keh­rung ge­fäl­ligst tref­fen, da­mit diese heim­li­che Be­la­ge­rung auf­hört und Ruhe er­hal­ten“ werde, denn „ehe die­ses ge­schieht, werde ich nicht im Stande seyn aus dem Bett zu ge­hen. Hoffe, daß Euer Hoch­wohl­ge­bo­ren Ruhe schaf­fen wer­den.“ (nach­zu­le­sen in Ines Hildt: „Schorn­dorf zur Zeit der Re­vo­lu­tion von 1848“, Hei­mat­blät­ter Band 13)

Aus dem Groß­her­zog­tum Ba­den be­rich­tete ei­ner der An­füh­rer, Fried­rich He­cker: „Die Frauen und Mäd­chen zeig­ten sich mut­hi­ger und be­geis­ter­ter als die Män­ner.“ Sie re­kru­tier­ten bei­spiels­weise Mit­strei­ter, in­dem sie de­nen er­klär­ten, „daß es feige seie, uns im Sti­che zu las­sen und da­heim zu sit­zen, wäh­rend wir die Frei­heit er­stre­ben woll­ten“. Na­ment­lich sind nur we­nige von ih­nen schrift­lich über­lie­fert. Be­kannt wurde die Leh­re­rin  Ama­lie Struve, die mit­un­ter Ho­sen statt Rö­cken trug, sich ak­tiv an den Auf­stän­den be­tei­ligte und da­her über ein hal­bes Jahr lang in Frei­burg im Ge­fäng­nis saß.

Emma Her­wegh (1817–1904)

Emma Her­wegh hat ihre Er­leb­nisse 1849 schrift­lich fest­ge­hal­ten in dem Buch „Zur Ge­schichte der deut­schen de­mo­kra­ti­schen Le­gion aus Pa­ris. Von ei­ner Hoch­ver­rä­te­rin“. Sie schrieb: „Ich las fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­ons­ge­schichte und war wie von ei­ner vul­ka­ni­schen Glut ge­trie­ben, bald glü­hend, bald halb er­starrt. – Wie aber, wenn eine Zeit käme, wo je­der Mensch kö­nig­lich dächte, wo die Ge­samt­bil­dung eine so all­ge­wal­tige wäre, daß der Mensch im An­dern nur den Bru­der sähe, wo nur Ver­dienste an­er­kannt wür­den, wo der Geist des Gött­li­chen sich in je­der Brust of­fen­bart hatte; be­dürfte es dann je­ner Kö­nige noch?“

In Zim­mern ob Rott­weil un­ter­stütz­ten zwei Frauen ei­nen Pro­test-Marsch nach Cannstatt, in­dem sie da­für Un­ter­schrif­ten sam­mel­ten: die 35-jäh­rige „Löwen“-Wirtin Ka­tha­rina Mül­ler und The­re­sia Ro­sen­ber­ger, Frau des Schul­tes. Sie beide wur­den von ei­nem Ta­ge­löh­ner de­nun­ziert und muss­ten sich vor ei­nem Ge­richt ver­ant­wor­ten. Nur weil sie des­halb in Ver­neh­mungs­ak­ten auf­tau­chen, sind ihre Na­men und diese Ge­scheh­nisse der Nach­welt er­hal­ten ge­blie­ben.

Ih­ren An­fang nahm die Re­vo­lu­tion durch so­ge­nannte „Brot­kra­walle“ in meh­re­ren Städ­ten: Da pro­tes­tier­ten Frauen ge­gen Preis­trei­be­rei und dass ih­nen Ware vor­ent­hal­ten wurde. Un­ter­stützt wur­den sie oft von Stu­den­ten. In Stutt­gart hatte Beate Cal­wer bei den „Brot­kra­wal­len“ vom 3. Mai 1847 ge­ru­fen: „Ihr seyd keine Kerle, ihr Ho­sen­schei­ßer“. Sie wurde zu vier Wo­chen Ge­fäng­nis ver­ur­teilt. In Aa­len hielt, wie der dor­tige Ge­schichts­ver­ein be­rich­tet, am 27. März 1848 bei ei­ner Ver­samm­lung, zu der viele Men­schen aus dem Um­land ka­men, „ein  Fräu­lein, nach­mals Schwä­ge­rin des  da­ma­li­gen Schrei­ner­meis­ters Betz­ler beim  Sprit­zen­haus, eine frei­sin­nige Rede“.

Kul­tur­staats­se­kre­tä­rin Clau­dia Roth stellt sich voll auf de­ren Seite, wenn sie ver­kün­den lässt: „Frei­heit, De­mo­kra­tie und Men­schen­rechte sind keine Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, sie müs­sen erstrit­ten, er­kämpft und im­mer wie­der aufs Neue ver­tei­digt wer­den.“

OHNE MOOS NIX LOS!

Das „Schorn­dor­fer On­­line‑Blatt“ steht für un­ab­hän­gi­gen Jour­na­lis­mus.


Da­mit das so bleibt, freuen wir uns über Ihre Un­ter­stüt­zung!

Konto-In­­­ha­­­be­rin: G. Uhde

IBAN :


DE83 6005 0101 8836 5559 72

Newsletter:

schoblatt.de