Bernd Hornikel macht Ernst mit seinem Versprechen, ein „Oberbürgermeister für alle“ sein zu wollen. So erwägt er, um den Puls der Bevölkerung auch dann zu spüren, wenn der Gemeinderat tagt, dort eine neue Sitzordnung einzuführen: Wo bisher 30 AmtsleiterInnen die Ratsversammlung flankieren, sollen künftig Bürgerinnen und Bürger Platz nehmen. Für jeden von ihnen werde dort ein Mikrophon zur Verfügung stehen, so dass der OB ad hoc „Volkes Stimme“ zu den Beratungen vernehmen kann.
Am heutigen Samstag, 1. April, um 16 Uhr, soll die neue Sitzordnung einem Praxistest unterzogen werden, weshalb möglichst viele BürgerInnen aufgerufen sind, zu kommen, um eventuelle Probleme oder Schwächen zu ermitteln. Die Pressestelle bittet: Man möge sich kleine Wortbeiträge überlegen, um die Mikrophone auf Volkstauglichkeit zu testen. Ein kleines Buffet mit vegan belegten Brötchen sowie freie Erfrischungsgetränke stehen gleichermaßen für VolksvertreterInnen und Bevölkerung bereit.
Einer, der diese Umstrukturierung mit skeptischen Augen betrachtet, ist Bürgermeister Englert, da er meint, dass unser vorheriger OB „sich schon was dabei gedacht hat bei dieser Anordnung“. Und dass „man das Bewährte schätzen muss, statt immer Neues zu fordern“. Selbst das Argument, diese Maßnahme werde den städtischen Haushalt nicht noch zusätzlich belastet, bringt ihn nicht von seinem Urteil ab: „Das ist reine Effekthascherei.“
Diese schroffe Ablehnung seines weisungsgebundenen Bürgermeisters bestätigt OB Hornikel allerdings nur, auf dem richtigen Weg zu sein. Untermauert werde, wie er sagt, diese Maßnahme durch jüngste Studien, die entdeckt haben, dass eine Sitzordnung viel stärkeren Einfluss auf die Beratungsergebnisse hat, als bisher angenommen. Hirnforscher fanden heraus, dass die Spiegelneuronen im Gehirn uns helfen, bei Gruppen-Entscheidungen möglichst viele Mitglieder zu erfassen und zufriedenzustellen. Denn der Mensch ist auf Harmonie im Zusammenleben ausgerichtet.
Dadurch, dass die Sitze im Schorndorfer Rathaus im Hufeisen angeordnet sind, sehen die StadträtInnen sich gegenseitig ins Gesicht. Rund um sie herum sitzen noch mal so viele, nämlich 30 Amtsleiter, deren Reaktion auf Wortmeldungen die Volksvertreter sofort sehen. Wohingegen die Bürgerschaft, von der sie gewählt wurden, auf die Zuschauerplätze abseits ihres Blickfeldes verbannt sind, und während der Sitzung auch keinen Ton von sich geben dürfen.
„Das ist antiquiert“, sagt Hornikel, „das stammt aus dem vorigen Jahrhundert, als die Obrigkeit auf Machtinszenierung und autoritäres Gehabe setzte“. Er wolle diesen alten Zopf endlich abschneiden. „Die Bürgerschaft ist der Souverän. Nicht wir schreiben ihm vor, was er tun soll, sondern umgekehrt: Wir stehen in seinen Diensten.“
Die Reaktionen in den einzelnen Fraktionen fallen unterschiedlich aus. So meint etwa Ulrich Kost von den Grünen: „Ich bin ein Mann der Kunst und Kultur. Da orientiere ich mich an Joseph Beuys, der sagte: ‚Jeder Mensch ist ein Künstler‘. Weil jeder Mensch die Kreativität in sich hat. Auch ich. Also sage ich: Jeder Mensch ist auch ein Demokrat. Ein Stadtrat ist da nicht besser als ein einfacher Bürger*in.“
Werner Neher von der abgespaltenen Grünen Liste: „Ich bin jetzt seit über 30 Jahren Stadtrat. Und ich frage mich, was das soll. Es ging doch bislang auch so, wie es ist. Wenn man die Amtsleiter und Kollegen sieht, weiß man doch gleich, ob man richtig liegt mit seiner Einschätzung. Was natürlich nicht heißt, dass ich denen immer nach dem Maul schwätze. Ich habe ja immer auch meinen eigenen Kopf.“
Für die SPD kommentiert Sabine Reichle, die Historikerin: „Unsere Partei hat die längste Geschichte. Uns gibt es in Schorndorf bereits seit 1891. Und schon allein von da her wissen wir – aus Tradition – wie das Volk tickt. Da brauchen wir keine Hilfestellung von außen. Wir wissen, wie man die sauer verdienten Steuern der Arbeiterschaft auf sozial gerechte Weise ausgibt. Gerhard Schröders Ausdruck von „Gedöns“ für solche Zwecke war nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt: Wir treten für die Interessen der einfachen Bürger*innen ein, wir wissen, wo sie der Schuh drückt.“
Gerhard Nickel (FDP/FW): „Ich begrüße diese Initiative unseres Oberbürgermeisters und hoffe, dass von den Bürgern auf den Amtsleiterplätzen dann auch der eine oder andere saftige Kommentar kommt. Damit ich nicht mehr den Alleinunterhalter spielen muss, um eine festgefahrene Diskussion durch humorige Bemerkungen wieder aufzulockern. Ich freue mich schon sehr auf das, was da kommt.“
Hermann Beutel, Fraktionsvorsitzender der CDU erklärt: „Die Begründung des OB hat mich überzeugt: Wir sitzen im Ratssaal quasi in einer Blase, umgeben von unseresgleichen und dann sogar nochmal so vielen Verwaltungsleuten. Da nimmt man logischerweise deren Sichtweise an. Das färbt einfach ab.“ Wenn die Amtsleiter auf den seitherigen Zuschauerplätzen sitzen, könnten sie sich nach wie vor – falls überhaupt nötig – von dort aus zu Detailfragen äußern.
Er geht sogar noch einen Schritt weiter, denn er bedauert, dass Beschlussvorlagen und Vorträge zu einzelnen Themen ausschließlich von der Verwaltung kommen. Da wünsche er sich, dass ein Problem von zwei oder mehrere Seiten beleuchtet wird, aus denen „Kompromisse gestrickt werden“, statt immer nur vor der Alternative „Abnicken oder Ablehnen“ zu stehen.
Und wo er grad schon dabei ist, Schwachstellen zu benennen, sagt er auch gleich noch, er wünsche sich ja bereits seit langem, dass Beschlussvorlagen für die Sitzungen so formuliert werden, dass sie auf Anhieb verstanden werden. Leider herrsche jedoch bei deren Verfassern immer noch die Praxis vor, „da möglichst viele wichtig klingende Wörter reinzupacken, um die Wertigkeit des eigenen Arbeitsgebiets herauszustellen“. Das aber gehe zu Lasten sowohl des praktischen Nutzens als auch der Transparenz im Rathaus.
Lars Haise (AfD) meint lakonisch: „Ein zu enges Kungeln mit der Verwaltung kann man der AfD nun am allerwenigsten unterstellen. Schließlich werden wir von manchen Menschen im Ratssaal gemieden wie die Pest.“ Da habe jemand auch schon mal bei einer Umfrage zur Sitzungsverpflegung nachträglich seine Unterschrift zurückgezogen, um nicht mit ihm gemeinsam auf der Liste zu stehen. Er nimmt das nicht nur mit Humor, sondern sieht darin sogar auch einen Vorteil gegenüber allen anderen Fraktionen: „Denn wenn man sich mit einem Bürgermeister oder Amtsleiter duzt, ist die Beißhemmung größer“.
Da „heult man eher mit den Wölfen. Denn man will ja das gute Verhältnis nicht gefährden“. Da nehme man deren Sichtweise an und stelle sich unwillkürlich mit ihnen auf eine Stufe. „Wir von der AfD haben in dieser Hinsicht nichts zu verlieren, und sind deshalb vollkommen frei, uns ausschließlich für unsere Wähler und deren Interessen einzusetzen.“