Gedenktag«
Am 7. November 1947 stellte Anna Haag im Landtag von Württemberg-Baden den Antrag, dass man den Satz „Niemand darf zum Kriegsdienst gezwungen werden“ in die Landesverfassung aufnehmen solle.
Bevor die Debatte darüber beginnen konnte, war sie aber auch gleich schon wieder beendet. Denn der CDU-Abgeordnete Felix Walter beantragte umgehend, das Thema in den Rechtsausschuss zu überweisen.
Doch Anna Haag gab nicht auf. Als sie sah, dass sie nicht die nötige Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung bekäme, schlug sie vor, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wenigstens als Gesetz zu beschließen. Sie hatte gute Gründe.
So empfahl sie etwa ihren Parlamentskollegen, sie „möchten doch einmal jene Lazarette besuchen, wo die Menschenwracks, unseren Augen entrückt, lebendig begraben sind“.
Sie nennt sie „Überbleibsel junger, schöner Menschen“: ohne Gesichter, ohne Rücken, menschliche Rümpfe ohne Arme und ohne Beine.
Das Schlimmste: Dass diese armen Männer noch bei vollem Bewusstsein sind, welches „sie zwingt, in jeder Minute ihre Qual wahrnehmen zu können“. Ein erschütterndes Beispiel davon, „was Menschen angetan werden kann“.
Anna Haag wurde 1888 als Lehrerstochter in Althütte geboren und trat zur Zeit der „Weimarer Republik“ in die SPD ein. In ihren Tagebuchaufzeichnungen, die vor vier Jahren ungekürzt veröffentlicht wurden, beschreibt sie, wie sie die Zeit des Zweiten Weltkriegs in Stuttgart erlebte.
Ihr Sohn hielt sich, als der Krieg ausbrach, bei seiner in England verheirateten Schwester auf und wurde interniert. So war die Mutter froh, dass ihm das Schicksal erspart blieb, als Soldat an „diesen barbarischen Taten teilzuhaben“.
Anna Haag empfand „angesichts der zahllosen Leidensstationen, die unser Volk durchwandern musste und die von vielen noch nicht endgültig durchschritten sind“ die Einführung der Kriegsdienstverweigerung als etwas Selbstverständliches.
Ihr Antrag war von 9 weiteren Mitgliedern des Landtags unterschrieben worden. Und zwar von den Abgeordneten „Franziska Schmidt, Möller, Gehring, Zimmermann, Dr. Kienle „und noch einigen Namen, die ich nicht entziffern kann“, wie laut Protokoll der Parlamentspräsident Wilhelm Keil (SPD) verkündete.
Hinter ihrem zweiten Antrag standen dann zusammen mit ihr insgesamt 17 Personen: Elly Heuss-Knapp (DVP), die Herren Zimmermann, Dr. Nies, Möller, Fischer, Greiner, Lausen, Angstmann, Schneckenburger, Kühn, Bauser, Vogt, Dr. Kessler und Wild sowie Gertrud Frühschütz und Antonie Langendorf (beide KPD).
Obwohl sich ein Großteil der Männer im Parlament auch im April 1948 schwer tat, sich nicht als „Vaterlandsverräter“ zu fühlen und an dem hehren Gedanken festhielt, Land und Leute mit der Waffe verteidigen zu müssen, wurde das Recht auf die Verweigerung des Kriegsdienst schließlich am 22. April 1948 in Stuttgart tatsächlich beschlossen.
Am gleichen Tag stimmte übrigens die Berliner Stadtverordnetenversammlung einem Antrag – dort von Hilde Lucht-Perske (SPD) und Ella Barowsky (LDP) eingebracht – zu, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in die Verfassung aufzunehmen.
Nachdem in Stuttgart die erste Hürde genommen worden war, fand dieses Recht kurz darauf dann ebenfalls doch noch Eingang in die württembergische Verfassung – und im Jahr 1949 schließlich sogar ins Grundgesetz unter Artikel 4, der Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Dort heißt es: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“
Seit 1981 gibt es zudem einen „Internationalen Gedenktag der Kriegsdienstverweigerung“. Seither wird immer am 15. Mai all jener gedacht, die sich Krieg und Kriegsdienst widersetzt haben und dies auch weiterhin tun.
Laut Wikipedia war die Bundesrepublik „der erste Staat der Welt, der diesem Recht Verfassungsrang einräumte“ – nicht zuletzt dank der Initiative einer Frau aus Althütte: Anna Haag.

